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Kultur: Operation Sandkasten - in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin

Was Kinder über ihre Eltern wissen? Vielleicht vor allem dies: dass die Erwachsenen wenig eigene Gedanken haben und noch weniger Gefühle zeigen, dass sie, statt Fragen zu beantworten, lieber herummeckern und, statt auf Widerspruch einzugehen, lieber zuschlagen.

Was Kinder über ihre Eltern wissen? Vielleicht vor allem dies: dass die Erwachsenen wenig eigene Gedanken haben und noch weniger Gefühle zeigen, dass sie, statt Fragen zu beantworten, lieber herummeckern und, statt auf Widerspruch einzugehen, lieber zuschlagen. Wenn Kinder Erwachsene spielen, werden sie sich also vor allem anpöbeln und drangsalieren, werden sie die vermeintliche Familienidylle im Rollenspiel zur ausweglosen Gefühlshölle aufputschen. Doch was passiert, wenn Erwachsene in einem Theaterstück Kinder darstellen, die wiederum Erwachsene spielen, wenn sie mal jünger und mal älter werden und gelegentlich auch ihr Geschlecht ändern?

Dann ist die Verwirrung groß. Jedenfalls bei Aureliusz Smigiel, dem jungen polnischen Regisseur, der an den neuen Berliner Kammerspielen des Deutschen Theaters Biljana Srbljanovics "Familiengeschichten. Belgrad" inszeniert. Die komplizierten Kippfiguren, die verschachtelte, kaum auflösbare Struktur des Stückes der serbischen Autorin reduziert Smigiel im wesentlichen auf ein einfaches Rollenspiel. Mit Hilfe seiner Bühnen- und Kostümbildnerin Magdalena Musial sperrt er seine Schauspieler in einen stilisierten Sandkasten. Mit Schäufelchen und Baggermatsch dürfen sie dann alle Klischees ausloten und austoben, die sich im Zeitalter der realen Bürgerkriege und fiktiven Gewaltphantasien in den enthemmten Kinderköpfen angesammelt haben mögen.

Pulp Fiction auf dem Spielplatz? Natürlich nicht. Denn was sich auf der zum Werkraum umgebauten ehemaligen Hinterbühne der Kammerspiele ereignet, ist ja erkennbar nur ein Spiel mit süffisant verschmiertem Theaterblut, einigen ironischen Untertönen und viel, allzuviel, heiligem Ernst. Die vor einem Klettergerüst aus Holzlatten und in einem mit Matsch und Sperrmüll-Utensilien vollgestopften Sandkasten abrollenden "Familiengeschichten" könnten genauso gut in Belgrad wie in Berlin, in Zagreb oder Zwickau spielen. Milosevic und der ethnische Wahnsinn sind weit weg.

Papa Vojin (Bernd Stempel) und Mama Milena (Cornelia Schirmer) sind dickbäuchige Kotzbrocken einer in Trainingsanzug und Unterhemd herumlümmelnden Freizeitgesellschaft. Den Fragen und Wünschen ihres in Latzhose und Turnschuhen herumwuselnden Sohnes Andrija (Michael Schweighöfer) begegnen sie wahlweise mit Schlägen mit dem Ledergürtel oder mit der Faust. Kaum verwunderlich, dass Andrija Hass und Frust an die in der Kampfzone auftauchende Nadezda (Cornelia Heyse) weiterreicht. Sie, die Schweigsame und Fremde, die Vertriebene, als Ausländerin und Spionin diffamiert, wird als Hund gehalten, angekettet, bespuckt und verhöhnt.

Smigiels Inszenierung weiß wenig von der zerfaserten, verträumten und unlogischen Gefühls- und Gedankenwelt der Kinder. Sie erzählt eigentlich nur davon, wie einfach es sich Erwachsene machen, wenn sie sich in Kinder hineinversetzen. Ein paar bekannte Abziehbilder und Klischees. Mehr erfahren wir nicht über die Familienhöllen auf dem Balkan und anderswo.Wieder am 28.2. sowie am 3., 11., 12. und 31.3.

Frank Dietschreit

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