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Gayle Tufts

© Komische Oper

Operettenrarität mit Gayle Tufts: Im Dollarregen

In seiner „Herzogin von Chicago“ erzählte Emmerich Kálmán 1928 vom Kulturkampf zwischen Operette und Jazz. Mit Berlins Denglisch-Diva Galye Tufts als Stargast wird an der Komischen Oper jetzt ein Abend mit heißen Tanzrhythmen daraus.

zwei Polizisten sind sehr rechtzeitig gekommen. Vorne am Bühnenrand lümmeln sie auf ihren Stühlen, beobachten, wie das Publikum in den Zuschauerraum strömt. Kurz nach Vorstellungsbeginn werden sie ihren Einsatz haben, wenn es gilt, einen Saxofonisten aus dem Orchester abzuführen.

In der Komischen Oper tobt an diesem vierten Advent ein heftiger Kulturkampf. Die Frage: Csárdás oder Charleston? entzweit die Gemüter in Emmerich Kálmáns „Die Herzogin von Chicago“. Erbprinz Sándor von Sylvarien favorisiert selbstredend seine heimatlichen Klänge. Und weigert sich darum, der Tochter des amerikanischen Würstchenkönigs zum neuesten Modetanz aufs Parkett zu folgen. Die düpierte Mary Lloyd sinnt auf Rache.

1928, als die Musikkomödie in Wien uraufgeführt wurde, diskutierte die Kunstszene tatsächlich erhitzt darüber, ob der Jazz gerade die traditionellen Kunstformen in old Europe zerstöre. Der mit „Gräfin Mariza“ und der „Csárdásfürstin“ berühmt gewordene Komponist versuchte einen diplomatischen Coup, indem er die widerstreitenden Welten im Happy End vereint, musikalisch wie szenisch: Nachdem Mary die Regierung von Sylvarien mit ihrem Dollarregen gefügig gemacht hat, bricht sie schließlich auch den Stolz des Thronfolgers. Und alle singen: „Ein kleiner Slowfox mit Mary / bei Cocktail und Sherry / das wär’ so mein Ideal! / Es tanzt der Flirt und der husband / mit Mary zur Jazzband / und sie ruft: Ach, noch einmal!“

Als Kálmáns polystilistischer Flitterzwitter dann seine Berliner Erstaufführung erlebt, ist die Stadt gerade im Fieber der kurz zuvor herausgekommenen „Dreigroschenoper“. Im Wirbel um Brechts und Weills wüstes Zeitstück geht die charmant-nostalgische „Herzogin von Chicago“ fast unbemerkt unter. Jetzt aber rehabilitiert Intendant Barrie Kosky das Stück im Rahmen seiner Operetteninitiative. Seine Propagandistin ist dabei Gayle Tufts, Berlins Denglisch-Diva. Sie hat sich frech ins Stück hineingeschrieben, begleitet als Edith Rockefeller ihre Busenfreundin Mary auf dem Europatrip, und versucht in gewohnt überdrehter Art, zwischen den Gesangsnummern die krause Handlung nachvollziehbar zu machen.

Aus der angekündigten konzertanten Aufführung wird dabei fast eine szenische, weil die in 20er-Jahre-Kostüme gesteckten Solisten beherzt flirten, nationalistisch sticheln, starrköpfig insistieren, intrigieren und immer wieder aus der Notenständerreihe tanzen, mitgerissen von den heißen Rhythmen, die Dirigent Florian Ziemen mit dem Orchester entfesselt. Fabelhaft geht auch der Chor mit, schwankend zwischen k. u. k.-Sentiment und Jazzbegeisterung. Ganz große Operettengefühle beschwören Zoltán Nyári und Johanni van Oostrum als Sándor und Mary, feinsinnig kontrapunktiert vom Buffopaar Annelie Sophie Müller und Tom Erik Lie. Riesenjubel.

Noch einmal am 30. Dezember.

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