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Opernchefs Harms und Flimm im Interview: "Die Leute könnten in der Pause ja das Haus wechseln"

Ein Treffen mit Kirsten Harms, Intendantin der Deutschen Oper, und Staatsopern-Lenker Jürgen Flimm. Seit dem Umzug der Staatsoper sind die beiden Opernchefs Nachbarn auf Zeit.

Frau Harms, Herr Flimm, durch den Umzug der Staatsoper ins Schillertheater sind Sie Nachbarn auf Zeit geworden. Wie lange kennen Sie sich eigentlich schon?

JÜRGEN FLIMM: Ungefähr zehn Jahre.

KIRSTEN HARMS: Dann hast du aber ein schlechtes Gedächtnis für Blondinen!

FLIMM: Nein!

HARMS: Doch! Mitte der achtziger Jahre , während meines Studiums in Hamburg, habe ich mich am Hamburger Thalia-Theater als „langbeinige Blondine“ für eine Statistenrolle in einer deiner Inszenierungen casten lassen. Ich kam zur Probe in einem hoch geschlitzten Rock und da kam die Idee auf, dass ich mit einem der Schauspieler im Hintergrund rummachen sollte. Nach zwei Tagen sagte der Hauptdarsteller: Dagegen kann ich nicht anspielen – entweder die Statistin fliegt raus oder ich gehe. Zum Abschied hast du mir noch hinterhergerufen: sehr begabt.

Ihr erstes Treffen auf Augenhöhe, als Intendanten, fand dann vor zehn Jahren statt?

FLIMM: Das war in Berlin, bei einer Bühnenvereins-Tagung. Da hatte ich gerade etwas über deinen „Ring des Nibelungen“ in Kiel gelesen …

HARMS: Ja, und dann wolltest du wissen, wie meine szenische Lösung für den Tod Siegmunds in der „Walküre“ aussah – und ob du sie für deinen Bayreuther „Ring“ übernehmen könntest. Dafür sollte ich mit einem Abendessen entlohnt werden. Das bist du mir allerdings noch schuldig.

FLIMM: In Charlottenburg soll es ja tolle Restaurants geben.

Apropos Kulinarisches: Herr Flimm, zu den Dingen, die aus Ihrer Amtszeit als Intendant der Salzburger Festspiele überdauern werden, zählt ein Gericht auf der Speisekarte des berühmten Künstlerlokals „Triangel“ mit dem Namen „Flimm-Brot“.

FLIMM: Ja, nur wenige können sagen, das ihnen das gelungen ist. Bismarckhering, Fürst-Pückler-Eis, Boeuf Stroganoff, Flimm-Brot. Dahinter verbirgt sich ein Toast mit Schinken, Speck und Tomaten. Das war das schnelle Essen, das ich mir dort immer geholt habe. Ehrlicherweise muss ich hinzufügen, dass es diesen Toast schon gab. Er hieß früher nur „Rosanna“.

Frau Harms, die Deutsche Oper hat zwar ein eigenes Restaurant, die Speisekarte dort ist aber bislang harmslos …

FLIMM: Wie wäre es mit dem Kirsten-Kotelett?

HARMS: Es müsste eher etwas mit Kirsche sein. So wurde ich als Kind manchmal genannt.

Herr Flimm, als Sie mit der StaatsopernMannschaft am 19. September per Schiff in Charlottenburg eintrafen, wurden Sie von Frau Harms begrüßt. Kann es eine friedliche Koexistenz Ihrer zwei Opernhäuser geben?

FLIMM: Die Begrüßung mit Kinderchor und Kavallerie war schon etwas Besonderes. Sogar Daniel Barenboim war baff.

HARMS: Wie wir beide vor dem Schillertheater stehen, eine Menschenmenge um uns herum, und du nimmst mich mit deinen Riesenpranken in die Arme. Da dachte ich: Du bist wirklich ein warmherziger Mensch.

Also alles Friede, Freude, Eierkuchen?

FLIMM: Im Entwurf der Menschheitsgeschichte ist auch die Möglichkeit angelegt, dass Leute sich vertragen. Nur mal so als Tipp eines alten Mannes. Als ich das Thalia-Theater leitete und Peter Zadek Intendant am Hamburger Schauspielhaus wurde, sagte er zu mir: Wir überraschen die Hamburger damit, dass sich die verfeindeten Häuser einfach mal vertragen. Wir reden konsequent nur gut übereinander, so lange, bis es den Leuten richtig langweilig wird. Wir haben das dann tatsächlich durchgehalten.

In der Berliner Kulturlandschaft ist es für die Institutionen enorm wichtig, aus dem großen Angebot herauszustechen und sich unterscheidbar zu machen.

FLIMM: Ich finde, wir beide sind ziemlich gut unterscheidbar!

HARMS: Ich glaube, wir hätten in der Opernstiftung nicht so viel bewerkstelligen können, wenn wir nicht äußerst eng zusammenarbeiten würden. Wir haben da absolute Herkulesarbeit geleistet.

Die Politiker schauen immer zuerst auf die Auslastungszahlen.

HARMS: Die Kunst ist fast zu einem Produkt geworden: Gut ist, was sich verkauft. Es wird ein Rückschluss von der Auslastung auf die Qualität gezogen. Das finde ich bedauerlich. Kunst ist eine genaue Form des Hinschauens, der Analyse von Gegenwart und Zukunft. In der Mitte der Gesellschaft muss es doch für die Künstler einen geschützten Bereich geben, in dem sie unabhängig von politischen und finanziellen Interessen sagen können, was sie für wichtig halten. Ich bin stolz darauf, dass ich 2009/10 eine fast 80-prozentige Auslastung mit einem anspruchsvollen Programm hinbekommen habe.

FLIMM: Wir Theaterleute sind die Einzigen, denen man übel nimmt, wenn sie gut verkauft sind. Jeder Autor will einen Bestseller schreiben, jeder Filmregisseur einen Kassenerfolg landen. Nur wenn wir in Salzburg 95 Prozent Platzauslastung haben, heißt es in der Presse: Kein Wunder, der fischt ja auch nur im Seichten. Ahnungslos!

Dennoch wird genau hingesehen, wo die meisten Leute hingehen, gerade jetzt, wo Deutsche Oper und Staatsoper in Sichtweite voneinander arbeiten.

FLIMM: Und wie war das mit der Sichtweite von Staatsoper und Komischer Oper? Was ist mit der Sichtweite von Deutschem Theater und Berliner Ensemble? Wir haben 970 Plätze, Kirsche muss 1900 Plätze füllen. Wenn sie das Haus voll hat, steht dieselbe Menge Leute bei mir schon auf dem Dach. Da auf die prozentuale Auslastung zu starren, ist Kokolores. Die einzige wirklich messbare Größe ist die Summe der Einnahmen.

Das Stammpublikum der Deutschen Oper gilt zwar als sehr treu, könnte sich nun aber auch dem Schillertheater zuwenden. Und die Touristen zieht es schon immer vor allem in die Staatsoper.

FLIMM: Das war Unter den Linden vielleicht so, aber im Schillertheater bin ich skeptisch. Denn die Fans der Fifties sind noch lange nicht so eine große Gruppe wie die Bewunderer des Pseudobarock.

Gehen die Leute nicht dorthin, wo ihnen der geringste Widerstand entgegengesetzt wird? Wird in einem Haus „Die Zauberflöte“ gespielt, im anderen ein unbekannter Titel, ist klar, was sie auswählen.

FLIMM: Das ist doch nicht wahr! Sie haben eine schlechte Meinung vom Publikum! Dieses Aufrechnen finde ich unzulässig, die gute alte „Bohème“ ins Feld zu führen gegen unsere Uraufführung von Jens Joneleit. Puccini beißt „Metanoia“ tot! Man muss die Leute neugierig machen. Dafür ist es unerlässlich, dass ein Intendant an das glaubt, was er anbietet.

HARMS: Ich finde es gut, dass du im kleineren Schillertheater Uraufführungen machst.

FLIMM: Na ja, wenn ich auf unser Einnahmesoll schaue, macht das leider gar keinen Sinn. Denn wir müssen genauso viel erwirtschaften wie Unter den Linden.

Aus Besuchersicht wäre es sinnvoll, dass die Vorstellungen zeitversetzt beginnen, damit Menschen, die für die früher beginnende Aufführung keine Tickets mehr bekommen haben, noch schnell rüberwechseln können.

FLIMM: Wenn wir immer ausverkauft wären, wäre es ganz toll.

HARMS: Die Leute könnten ja in der Pause das Haus wechseln.

FLIMM: Die Leute kaufen eine Karte und bekommen zwei Vorstellungen! Auf der Hälfte des Weges gibt es dann eine Tauschbörse an einem Wachhäuschen.

Bitte, können wir mal seriös über die Herausforderungen der Opern reden?

HARMS: Ich kenne doch mein Publikum. Das Opernfanpublikum geht in alle drei Häuser, in gelungene Produktionen oft sogar mehrfach. Manchmal ist es total überraschend, was die größte Begeisterung beim Publikum auslöst.

Jeder Intendant kämpft doch darum, die Megastars präsentieren zu können.

FLIMM: Wenn ich die Nachbarin frage: Hast du eigentlich schon den Dings engagiert, und sie hat ihn engagiert, dann hat sie ihn eben. Auch wenn ich ihn ebenso gerne gehabt hätte.

Die Intendanten der Berliner Opern-Trias müssen ihre Spielpläne absprechen. Die Stücke, die als Neuinszenierungen herauskommen, sind drei Jahre für die anderen gesperrt. Wie kommen Sie damit zurecht?

FLIMM: Mein Spielplan ist bis 2015 fertig. Neulich stellte sich heraus, dass die Komische Oper dasselbe Stück plante wie wir. Da habe ich dort kurz angerufen und der designierte Intendant Barrie Kosky sagte mir: Okay, dann mach du’s. Wie finden Sie das? Wenn ich bösartig wäre, würde ich meinen „Don Giovanni“ just an dem Abend wieder aufnehmen, an dem der neue „Giovanni“ an der Deutschen Oper Premiere hat. Mache ich aber nicht.

HARMS: Meine Ideen für unbekannte Stücke würden noch 20 Jahre reichen. Aber erstens bekomme ich sofort Druck wegen der Einnahmen und zweitens ist so etwas extrem schwer bei den Kritikern durchzusetzen, weil die oft keine Zeit haben, sich mit den Werken zu beschäftigen. Manche finden sogar: Unbekannt ist gleich schlecht. Zum Glück habe ich ein extrem neugieriges Publikum.

Frau Harms, welchen strategischen Rat geben Sie dem Berliner Opernstiftungs-Neuling Jürgen Flimm mit auf den Weg?

HARMS: Mein Motto ist: Wer sich irritieren lässt, der stürzt ab.

FLIMM: Das Risiko ist die Bugwelle des Erfolgs. Das ist von Jean Améry.

HARMS: Die schlechtesten Früchte sind es nicht, an denen die Wespen nagen, hat meine Großmutter immer gesagt.

FLIMM: Und meine Großmutter hat gesagt: Es recht zu machen jedermann, ist eine Kunst, die niemand kann.

Das Gespräch führte Frederik Hanssen.

KIRSTEN HARMS, 54,

ist seit 2004 Intendantin der Deutschen Oper Berlin. Zuvor hatte sie ab 1995 als Intendantin erfolgreich die Kieler Oper geleitet und dort auch inszeniert, u.a. einen vielgelobten „Ring“. Ihr Markenzeichen sind musiktheatralische

Neuentdeckungen. 2011 endet ihr

Engagement in Berlin.

JÜRGEN FLIMM, 69,

übernahm in diesem Jahr die Intendanz der Staatsoper Unter den Linden, die wegen Sanierung des Haupthauses ins Schillertheater in Charlottenburg umgezogen ist. Zuvor war Flimm Intendant am

Kölner Schauspielhaus
(1979 bis 1985) und am Hamburger Thalia-Theater (1985 bis 2000). Er leitete von 2005 bis 2007 die RuhrTriennale und ab 2006 die Salzburger Festspiele.

Am 3. Oktober eröffnet die Staatsoper im Schiller-Theater mit der Uraufführung von Jens Joneleits Oper Metanoia.

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