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Wer wir waren. Elektra (Evelyn Herlitzius) und Orest (René Pape) wurden als Kinder getrennt. Rache führt sie wieder zusammen.

© dpa

Opernpremiere: Die Kraft zur Steigerung

Christian Thielemann eröffnet das Richard-Strauss-Jahr an der Dresdner Semperoper mit „Elektra“, inszeniert vor Barbara Frey.

Richard Strauss, der lange Zeit in Berlin arbeitete, als Dirigent an der Hofoper und in seinem Komponierkabinett, liebte Dresden. Die Stadt an der Elbe sei „ein Dorado“ für Uraufführungen. Neun seiner 15 Opern erlebten dort ihre Premiere – auch „Elektra“, mit der die Semperoper nun das Jubiläumsjahr zum 150. Strauss-Geburtstag eröffnet. Im Januar 1909 traf der Antiken-Einakter in Dresden und kurz darauf auch in Berlin auf ein überwiegend schockiertes Publikum. „Kakophoner Krach“ darf noch als mildes zeitgenössisches Urteil für diese wildeste aller Strauss-Opern gelten. Nie wieder sollte er das Orchester derart entfesseln, nie wieder eine radikal verknappte Tragödie auf die Bühne wuchten.

In Dresden hofft man mit dem Strauss- Jahr auf eine Renaissance goldener Zeiten. Christian Thielemann steht dort in seinem zweiten Jahr als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle vor. Seine Ernennung war als „Akt von nationaler Symbolik“ in den Feuilletons gefeiert worden. Er selbst träumte laut davon, dass wieder Sonderzüge nach Dresden rollen, so wie einst nach der Uraufführung des „Rosenkavalier“ 1911. Man ist auf dem Territorium August des Starken nicht bescheiden in seinem Streben nach Wahrnehmung, ja, nach Verehrung. Auch die Staatskapelle meldet an, nach ihrem Verständnis zuallererst ein herausragendes Symphonieorchester zu sein. Thielemann ist als Chefdirigent ohnehin nur dem Orchester verpflichtet, an der Semperoper dirigiert er nach dem Lustprinzip. Da kann es schon mal Einbrüche geben, wie im vergangenen Oktober, als der Maestro eine „Rosenkavalier“-Serie doch nicht leitete – erkrankt, wie es offiziell hieß.

Wie spannungsreich die musikalischen Machtverhältnisse an der Elbe sind, wird der neue Intendant Serge Dorny, der zum September offiziell antritt, noch zu spüren bekommen. Bis dahin macht der starke Mann im Graben die Ansagen – wenn er denn da ist. Für alle „Elektra“-Aufführungen hat er sich eine feste Orchesterbesetzung ausbedungen, ein Wunsch, dem Musiker nur ungern nachgeben. Doch Thielemann, dessen Naturell stets zu den Grenzen von Verträgen drängt, weiß auch, wie man einen Erfolg inszeniert: Er dirigiert diese „Elektra“ so, als wolle er seine Kritiker für immer zum Verstummen bringen. Dabei greift er geschickt auf das zurück, was der Jubilar nicht minder geschickt bereitgestellt hat: Strauss’ „psychische Polyphonie“ ist für Thielemann kein Anlass zu neurologischer Werkexegese, wie sie ein Dottore Sinopoli den Musikern dozierend abgerungen hätte. Er begreift sie als Stimmungswert, als sinnliches Zeichen dafür, dass es noch tiefer hinabgehen könnte bei diesem Kammerspiel im Totenhaus. Dazu dämpft er die physische Wucht der Musik und wahrt so, was Strauss stets elementar wichtig war: die Kraft zur Steigerung.

Wie Thielemann und seine hingebungsvollen Musiker über 100 Minuten eine letale Dosis „Elektra“ vermeiden, ist die eigentliche Sensation des Abends. Sie nimmt der Oper den Nimbus einer einmaligen Eruption, reiht sie in ein zeitliches Kontinuum, lässt ihren ungezügelten Rachedurst nicht als bloße Perversion des Zeitgeists erscheinen. In Thielemanns Interpretation scheint nicht abwegig, dass es sich bei den Komponisten von „Elektra“ und „Rosenkavalier“ doch um ein und dieselbe Person handeln könnte. Nebenbei hört man so viel von den Sängern wie selten – und ist dankbar dafür.

Evelyn Herlitzius’ Elektra ist ein Erlebnis jenseits erreichter Phonwerte. Eine feinnervige Darstellerin mit ebenso individuell ansprechendem Organ, ohne Emotionen vom Reißbrett oder bloß schön bewältigte Töne. Eine Leidenschaftliche, die es auf sich nimmt, offene Wunde zu sein und zu bleiben. Die auch zeigen kann, was es sie kostet. Das Zusammentreffen mit ihrer Mutter, der Mörderin des Vaters, vereint zwei große Gestalterinnen auf der Bühne: Waltraud Meiers Klytämnestra weiß königlich mit stimmlicher Schwärze und behaupteter Contenance umzugehen, Frisur und Rock so hart wie das Herz. Anne Schwanewilms fällt als Chrysothemis die Aufgabe zu, den naiven Willen zum Leben darzustellen, der großen Verneinung Elektras einen noch so kleinen Gegenentwurf aufzuzeigen. Seltsam blass bleibt sie im Versuch, betont zart, doch ohne jedes Blühen. René Pape entledigt sich seines langersehnten Auftritts als Bruder Orest, der endlich die Rache ausführen soll, mit statuarischer Mimik und kernigem Groll.

Wer ganz genau hinsieht, entdeckt im Bühnenbild eine kleine Referenz an den Berliner Strauss. Der Raum stammt nämlich aus dem Flughafen Tempelhof. Dort diente der Eichensaal der Lufthansa als Vortragsraum, später der Kriegsführung, danach wurde er Teil eines alliierten Offiziershotels. Es fehlen einige Vertäfelungen, Röhren werden sichtbar, das Parkett ist an vielen Stellen ausgenommen. Ein Palast wie von Marthaler und Viebrock erdacht, nur hätten die nicht in goldenen Lettern „Iustitia fundamentum regnorum“ (Die Gerechtigkeit ist das Fundament der Staaten) aufs Eichenpaneel gepinnt. Auch für „Elektra“ spielt das keine Rolle, mahnt es niemanden, vom Blutzoll zu lassen. Mehr als eine ferne Erinnerung daran, dass hier Herrscher ihrer Rolle nicht mehr nachkommen können, ist der Schriftzug nicht. Und mehr weiß auch Regisseurin Barbara Frey nicht zu zeigen. Die Intendantin des Zürcher Schauspielhauses verhält sich in ihrer dritten Operninszenierung zurückhaltend, verbannt Beil und Mordtat hinter die Bühne, choreografiert ein bisschen die Vasallen in ihrer Serviertöchtertracht. Nichts lenkt ernsthaft vom Willen zum Triumph ab, mit dem Christian Thielemann in den Graben stieg und am Schluss auf der Bühne gefeiert wird.

In Dresden wieder am 25. und 31.1. sowie 22. und 29.6. Am 28.1. dirigiert Thielemann eine konzertante Aufführung mit gleicher Besetzung in der Philharmonie.

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