zum Hauptinhalt

Kultur: Orgie in Plaste

Tschaikowskys Oper "Pique Dame" am Cottbusser StaatstheaterVON JÖRG KÖNIGSDORFSeit einigen Jahren sind die Operninszenierungen am Cottbusser Staatstheater ein sicherer Geheimtip: Cottbus - das steht für pragmatisches Regietheater - zeigt, wie mittels sorgfältiger szenischer Detailarbeit ein Abonnentenpublikum für die Aktualisierung seines vielgeliebten Klassikerkanons gewonnen werden kann.Diesmal hat sich Martin Schüler Tschaikowskys "Pique Dame" vorgenommen, ein Stück an dem sich zuletzt Harry Kupfer an Berlins Komischer Oper die Zähne ausgebissen hat.

Tschaikowskys Oper "Pique Dame" am Cottbusser StaatstheaterVON JÖRG KÖNIGSDORFSeit einigen Jahren sind die Operninszenierungen am Cottbusser Staatstheater ein sicherer Geheimtip: Cottbus - das steht für pragmatisches Regietheater - zeigt, wie mittels sorgfältiger szenischer Detailarbeit ein Abonnentenpublikum für die Aktualisierung seines vielgeliebten Klassikerkanons gewonnen werden kann.Diesmal hat sich Martin Schüler Tschaikowskys "Pique Dame" vorgenommen, ein Stück an dem sich zuletzt Harry Kupfer an Berlins Komischer Oper die Zähne ausgebissen hat.Auch Schüler scheitert - noch deutlicher als Kupfer - an der Charakterisierung der Zentralfigur des Stückes.Hatte Kupfer einen augenrollend Besessenen auf seine Spieltischbühne gestellt und so zwar nicht die Entwicklung Hermanns, doch wenigstens seine handlungstreibenden Wahnenergien verdeutlichen können, läßt Schüler die Motivation seines Helden ganz im Dunkeln. Schon die einleitende Flanierszene im Park bleibt in oberflächlich auschoreographiertem Gewinke stecken: Weder führt Schüler die Petersburger Nobilität als sozialen Zielpunkt des armen Offiziers vor, noch dechiffriert er die Spielsucht, das unaussprechliche Laster, das Herrmann immer wieder in dunkle Spelunken treibt, als Homosexualität.Die Verzweiflung, mit der sich Herrmann in seine Liebe zu Lisa wirft, kann Schüler nur durch aktionistische Bühnengestik des verhinderten Liebespaares, nicht aber durch ein stücktragendes Konzept begründen.Auch Lisa selbst bleibt blaß: Den umfangreichen Kürzungen sind insbesondere die Szenen zum Opfer gefallen, die den antiquierten Haushalt der Gräfin beschreiben.Wo die Musik (oder was davon geblieben ist) Mozartschen Geist malt, bietet Schüler nur eine austauschbare Orgie mit Plastiksektgläsern.Warum Lisa hier weg will, die Beziehung zum Underdog Hermann für sie einen Ausweg darstellt, kann man nur mit Kenntnis anderer Inszenierungen erahnen.Vollends krude gerät der Schlußakt: Zur Flucht bereit sitzt die dicke Lisa auf einem Halbdutzend Koffer und wird von Herrmann kurzerhand abgeknallt, statt sich wenigstens verschmäht in die Newa stürzen zu dürfen.Von ihren Koffern umstellt, bleibt sie beim Szenenwechsel in den Spielsaal einfach auf der Bühne liegen, um die Gewichtigkeit von Herrmanns alles entscheidendem Finalspiel zu betonen.Dem bleibt der Selbstmord versagt, statt dessen exekutiert ihn sein Offizierskollege Tomski als Vertreter seiner Kaste. Vielleicht hätte Schülers Absicht, an diesem Stück die Unerbittlichkeit einer militaristischen Gesellschaft zu zeigen, mehr überzeugt, hätte er das Stück mit der gleichen Sorgfalt durchgearbeitet wie seinen gelungenen "Holländer" oder den immerhin diskutablen "Fidelio".Doch gerade in den Auseinandersetzungen zwischen Herrmann und Lisa offenbart die Regie ihre Hilflosigkeit in individueller Personenführung: In Momenten gesteigerter Dramatik werfen sich John Pierce und Sharon Lloyd meist mit ausgebreiteten Armen an die Bühnenwände, ohne daß ihr Spiel jemals von einer Erregtheit fortgerissen würde, das die ringende Gestik rechtfertigen könnte.Das stört letztlich noch mehr als die heiseren Tenorhöhen und Lloyds schlecht gezielte Spitzentöne.Verläßlich ist wieder einmal das Restensemble, scharfsichtig ordnend, doch zugleich mit Sinn für Tschaikowskys weitgeschwungene Kantilenen Reinhard Petersens Dirigat.

JÖRG KÖNIGSDORF

Zur Startseite