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Kultur: Ornament ist kein Verbrechen

Kopenhagen feiert den 100. Geburtstag des Architekten Arne Jacobsen mit einer Ausstellung im Louisiana Museum

Von Bernhard Schulz

Der „Skandinavien-Stil“ mit seinen hellen Hölzern und freundlichen Formen ist längst aus der Mode gekommen. Um so entschlossener nutzt Dänemark die Grelegenheit, mit den Feiern zum 100. Geburtstag des Architekten Arne Jacobsen auf den eigenen Anteil an der Moderne aufmerksam zu machen. Schon im Flughafen von Kopenhagen machen Werbebanner auf seine „Design Classics“ aufmerksam, die allerorten zu erwerben sind. In Kopenhagen selbst ist Jacobsen ohnehin unübersehbar:Sein „SAS Hotel“ gleich neben dem Hauptbahnhof überragt noch immer, wie schon zur Eröffnung Mitte 1960, die eher kleinteilige Hauptstadt. Der Maßstabssprung war gewollt. Der scharfkantige Bau sollte Dänemarks Anschluss an den International Style – verstanden als Lebensstil des US-Business – dokumentieren.

Rechtzeitig zum Jubeljahr ist Jacobsens Meisterwerk zumindest annäherungsweise in den Ursprungszustand zurückversetzt worden, nachdem das originale Design in den achtziger Jahren noch achtlos entrümpelt worden war. Legendär ist Zimmer „606“, das, als einziges mit den Originalmöbeln wie dem äußerst seltenen „Tropfen“-Stühlchen vor aufklappbarem Schminktisch ausgestattet, bis heute gebucht werden kann.

Den Höhepunkt hat das Jacobsen-Jahr am vergangenen Wochenende mit der Eröffnung der Zentenar-Ausstellung im Louisiana Museum nördlich von Kopenhagen erreicht. Nachdem das Dänische Design-Zentrum im Frühjahr mit der ironisch-distanzierten Ausstellung „Evergreens – Nevergreens“ den Blick auch auf die Fehlschläge des rastlos tätigen Meisters gewagt hatte, ist jetzt im traumhaft über dem Øresund gelegenen Louisiana Museum der „ganze“ Jacobsen zu sehen: in enzyklopädischer Vollständigkeit, nicht in kritischer Auswahl.

Der 1971 gestorbene Architekt hatte, wie die Stammväter der Architektur des 20. Jahrhunderts, wie Mies und Gropius, Le Corbusier oder Frank Lloyd Wright bis zur letzten Türklinke alles entwerfen wollen; zum Glück sich allerdings vor der Hybris der Älteren, gleich die ganze Stadt und überhaupt das ganze Leben neu erschaffen zu wollen, gehütet. Ihm ging es, wie der schmale, aber informative Katalog zur Ausstellung es nennt, um das „Gesamtkunstwerk“, wie er es beim SAS-Hotel, auf dem Gipfel seines Erfolgs stehend, verwirklichen konnte.

1929 machte der junge Architekt mit dem Entwurf eines kreisrunden „Hauses der Zukunft“ auf sich aufmerksam. Bald darauf konnte er im Seebad Klampenborg Haus für Haus seine Adaption der „weißen“ Moderne verwirklichen. Das Bellevue-Theater – gleichfalls umfassend renoviert – wirkt mit gestreifter Segeltuch-Wandbespannung und Holzgeflecht an der Empore wie ein überdimensionierter Strandkorb. Im nebenan gelegenen Restaurant – längst auf einen Bruchteil seiner ursprünglichen Speisesaal-Größe reduziert – wird hinter hochschiebbaren Fenstern heutzutage mit dem erst viel später entstandenen „AJ“-Besteck teuer gespeist. Allerdings irritiert die unter einer Empore kuschelig eingebaute Kaminecke, deren gemauerte Wand sich bauchig nach vorne wölbt. Jacobsen war eben doch nicht „Absolut modern“, wie der Ausstellungstitel in Louisiana weismachen will. Der biografische Abstand zu den übermächtigen Ahnherren der Moderne gibt zumindest einen Erklärungsansatz. Jacobsen musste die Gefechte der Vorgänger nicht mehr ausführen. Was immer er entwarf, ob er anfangs der dreißiger Jahre mit den damals gängigen Motiven aus der Schiffsarchitektur spielte oder in den Fünfzigern mit der US-Büroarchitektur, stets konnte ers sich des Wohlwollens seiner Auftraggeber sicher sein.

Nicht immer waren die Zeiten so aufgeschlossen. Ende der dreißiger Jahre hatte die „weiße“ Moderne ausgespielt. Das Rathaus in Århus gestaltete Jacobsen 1937-42 als Repräsentationsbau eines stockkonservativen Bürgertums bis hin zu den lederbespannten Sitzungssesseln und den hölzernen Wanduhren. Das Monumentale lauerte seither in seinen Entwürfen; jedoch nicht aus einer kristallin aufs Grundprinzip reduzierten Formensprache wie bei Mies van der Rohe, sondern stets als Zutat. Entsprechend zeitgebunden wirken denn auch späte Bauten wie die überdimensionierte Nationalbank in Kopenhagen, die dem Betrachter unmissverständlich deutlich machen will, wie bedeutsam sie ist.

Janusköpfig ist Jacobsens Entwurfshaltung. Auf der einen Seite steht der überwältigende Einfluss der Moderne in allen Facetten vom „Neuen Bauen“ bis zum International Style, die der Däne virtuos zu adaptieren und um eigene Glanzlichter zu bereichern vermochte. Auf der anderen Seite wirkt ein starkes Traditionsbewusstsein, eine Vorliebe für regionale Materialien wie hellen Backstein oder naturbelassenes Holz, und zugleich ein Hang zu organischen und biomorphen Formen. Das Möbeldesign der Nachkriegszeit, mit dem Jacobsen im Ausland ungleich stärker bekannt wurde als mit seinen Bauten, kennt beinahe ausschließlich gerundete, anheimelnde Formen wie in den für das SAS-Hotel entwickelten Sesseln „Ei“ und „Schwan“, und selbst der in Tausenden von Tagungssälen und Kantinen zu findende armlehnenlose Stapelstuhl der „Siebener“-Serie, so funktional er begründet sein mag, soll dem Benutzer das Gefühl der Geborgenheit inmitten der rechtwinkligen Nüchternheit der Gebäude schenken.

Ob die Balance, die Jacobsen zwischen geometrischen und organischen Formen, Architektur und Design fand, dem Kalkül entsprang, darüber kann man nach der Ausstellung erst recht grübeln. Denn dort kommt ein merkwürdig zwiespältiger Künstler-Architekt zum Vorschein, der traditionalistische Reiseaquarelle pinselte, Blumen liebte und Kakteen züchtete, Tapeten in floralem Muster entwarf und überhaupt Dekor und Ornt liebte, als hätte es nie das Bannwort eines Adolf Loos zum Ornament gegeben. Der ungemein fleißige Jacobsen lebte als der sprichwörtliche gute Nachbar, rauchte Pfeife und ging in die Konditorei. Und schuf „Gesamtkunstwerke“, die bei aller Weltläufigkeit nie vergessen lassen, dass hier ein Hauptvertreter des freundlichen „Skandinavien-Stils“ am Werke war.

Humlebæk bei Kopenhagen, LouisianaMuseum, bis 12.1. 2003. Katalog 198 dKr.

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