zum Hauptinhalt
Wirkmächtig. Szene aus dem „Orfeus“ des Südafrikaners Brett Bailey. Foto: dpa

© dpa

Kultur: Orpheus in der Kaserne

Der mittlere und der nahe Osten: Das Festival Theaterformen in Hannover zeigt Stücke aus Irak, Iran – und Ungarn

Sie treten auf als Giraffe, Hahn oder Affe und steigern sich in eine Performance zwischen Scharade und Modern Dance. Ein rätselhafter Beginn für ein Stück, das sich „Irakische Geister“ nennt. Eine Spielerin schiebt die Erklärung nach: „Meine Damen und Herren, Sie sahen eine Szene über das Leben der Tiere in Bagdad.“ Denn wenig sei bisher von jenen anderen Flüchtlingen die Rede gewesen, die während des Sturms auf die irakische Hauptstadt fliehen mussten. Weswegen man zum Beispiel einen Affen auf einer Ampel sitzen sehen konnte.

„Irakische Geister“ von Mokhallad Rasem, einem in Belgien lebenden Iraker, fand großen Zuspruch auf dem Festival Theaterformen in Hannover. Es ist ein Stück, das mit der Unmöglichkeit spielt, den Schrecken zu übersetzen und den Krieg als Showevent vorführt – da wird schon mal der rote Teppich für die drei Performer aus dem Irak ausgerollt, auf dem sie catwalkmäßig posieren. Das ist natürlich plakativ, und man ist sich über den Grad an Ironie und Reflexion bei Regisseur Rasem nie ganz sicher. Aber für die Welt als Freiluftzoo im Ausnahmezustand findet er starke Bilder.

Das internationale Festival, das abwechselnd in Braunschweig und Hannover stattfindet, legt diesmal einen Schwerpunkt auf Kunst aus dem arabischen Raum – was, wie Festivalleiterin Anja Dirks betont, schon vor Beginn des arabischen Frühlings feststand.

Da begegnen sich in „Made in Paradise“ der Wahlschweizer Yan Duyvendak und der Ägypter Omar Ghayatt zum Austausch über Okzident- und Orient-Klischees, in „Photo-Romance“ reflektieren die libanesischen Künstler Lina Saneh und Rabih Mroué über Zensur und Bilderverbot, und der Iraner Amir Reza Koohestani treibt in „Wo warst du am 8. Januar?“ ein Kurosawa-gleiches Spiel mit Wahrheitsfindung und Irreführung.

Es sind alles Künstler, die in Europa bereits durchgesetzt sind; aber die Theaterformen begreifen sich weder als Entdeckerfestival, noch sieht sich Anja Dirks unter dem Druck, deutsche Erstaufführungen zeigen zu müssen. Sie spottet über einen „Entjungferungswahn, der der Kuratoren-Eitelkeit dient“. Die studierte Regisseurin ist ihren Weg über die freie Szene gegangen, an Bühnen wie dem FFT Düsseldorf oder dem Zürcher Theaterhaus Gessnerallee. Dass sie sich dem Off-Theater nach wie vor verbunden fühlt, hat sie gerade bewiesen, indem sie der Jury des Berliner Senats beigetreten ist, die über die Basis-, Projekt- und Spielstättenförderung entscheidet. Keine dankbare Aufgabe.

In Hannover , wo sie ihren Vertrag bis 2014 verlängern wird, hat Dirks vor allem eine stimmige Mischung zu finden. Aus Ländern und Themen. Aus Kunst für die kleinen Spielorte und aus großen Namen, mit denen sich das Schauspielhaus füllen lässt. Was in diesem Jahr etwa der grandiosen New Yorker Truppe „Elevator Repair Service“ mit ihrer Hemingway-Bearbeitung „The Select“ zufällt. Drumherum sind Performances, Installationen und Site-Specific-Formate aus aller Welt gruppiert, ein Markenzeichen des Festivals.

Klar stellt sich beim globalen Kulturimport die Frage, was unterwegs verloren geht. Aber der Reiz liegt natürlich in der Reibung mit dem Fremden, und das wartet schon wenige Zugstunden entfernt. In der Inszenierung „Miststück“ des ungarischen Regisseurs Béla Pinter – einer Adoptions-Groteske – wird auf einleuchtend-burleske Weise der wachsende Rassismus im Lande persifliert. Aus dem Programmheft erfährt man, dass die Künstler beim Kauf eines Halstuchs der Ungarischen Garde die Adresse und Telefonnummer des Theaters hinterlegen mussten. Und dass die rechtsextreme Jobbik in solchen Fällen nicht selten die Nummern ins Netz stellt und ihre Anhänger auffordert, „die Handlanger der Juden“ anzurufen. Dunkle nahe Welt.

Freilich behält Dirks auch Hannover im Blick. Schon mit der Eröffnungsinszenierung, dem „Pièce pour la technique du Schauspiel de Hanovre“, das der französische Regisseur Philippe Quesne mit der technischen Belegschaft des Schauspielhauses inszeniert hat. Ein nettes Theater-im-Theater-Spiel für die Dunkelmänner des Betriebs.

Weit spannender die „Orfeus“-Inszenierung des südafrikanischen Regisseurs Brett Bailey. Der hat im vergangenen Jahr bei den Theaterformen seine Installation „Exhibit A“ gezeigt, die Völkerschauen nachstellte. Nun verlegt er mit seiner Gruppe „Third World Bunfight“ den Mythos von Orpheus’ Abstieg in die Unterwelt auf das Gelände einer ehemaligen Bundeswehrkaserne, ein verwildertes Areal voll zerschlagener Häuser, ungeheuer wirkmächtig. Auf der Suche nach seiner Eurydike trifft der schwarze Orpheus hier statt Tantalos und Prometheus die Entrechteten der Entwicklungsländer. Wie der Gott des Hades als Dealer auf einem Berg geplünderter Hilfspakete thront und Jungfrauen und Waffen verschachert, dieses Bild wird man so schnell nicht wieder los.

Das Festival geht noch bis zum 3. Juli. Infos: www.theaterformen.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false