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Jodie Foster erhält 1988 den Academy Award für „Angeklagt“.

© Deutsche Kinemathek

Oscar-Ausstellung im Berliner Filmmuseum: Wahre Göttinnen und die größte Show der Welt

„Best Actress“: Das Filmmuseum ehrt die 73 Frauen, die den Oscar als „Beste Hauptdarstellerin“ erhalten haben. Doch die beiden größten Diven, Greta Garbo und Marlene Dietrich, bekamen nie einen Academy Award.

Vom Ruhm in die Reha sind es nur ein paar Schritte. Das Seidenkleid, das Luise Rainer 1936 im Hollywood-Musical „Der große Ziegfeld“ trug, liegt majestätisch ausgebreitet in einer Vitrine. Strass-Applikationen funkeln. Luxus im Schneewittchensarg. Die rosafarbene Robe erinnert an eine gigantische Blüte. Oder eine Muschel. Im nächsten Raum hängt die Arbeitskluft, die Louise Fletcher 1975 in die herrische Oberschwester der Psychiatrie-Tragikomödie „Einer flog über das Kuckucksnest“ verwandelte. Weiße Baumwolle mit aufgenähten Taschen, gestärkte Haube in Flügelform. In einer Tasche steckt noch ein Kugelschreiber. Die Ärmel des Kostüms sind hinter dem Rücken verschränkt. Eine militärische Geste. Man möchte strammstehen.

Luise Rainer und Louise Fletcher gehören zu den Heldinnen der opulenten Ausstellung „Best Actress“ im Berliner Museum für Film und Fernsehen. 73 Schauspielerinnen sind seit 1929 mit dem Academy Award als „Beste Hauptdarstellerin“ ausgezeichnet worden, und alle haben in der gemeinsam mit dem Turiner Museo Nazionale del Cinema erarbeitete Schau ihren Auftritt. Einige sind sogar mehrfach mit dem Oscar dekoriert worden. Luise Rainer, die in Düsseldorf geboren wurde und vor den Nationalsozialisten nach London floh, erhielt ihn noch einmal 1937 für „Die gute Erde“. Katharine Hepburn bekam gleich vier Oscars, 1933, 1967, 1968 und 1981.

Glamour ist ein scharfes Schwert

„Wir zeigen nicht nur Glamour, wir spielen auch mit Glamour“, sagt Daniela Sannwald, die mit Nils Warnecke den Berliner Part der Ausstellung kuratiert hat. Der Glamour musste selbst für den Oscar, das ist eindrucksvoll zu sehen, hart erarbeitet werden. Als sich im Mai 1929 270 Größen aus der Filmindustrie im Festsaal des Hollywood Roosevelt Hotels versammelten, um goldene Statuetten für „besondere Leistungen“ zu vergeben, dauerte die Veranstaltung nur 15 Minuten. Fast neunzig Jahre später, im Februar 2015 schauten rund eine Milliarde Menschen der dreieinhalbstündigen Liveübertragung zu, als Julianne Moore die Auszeichnung für „Still Alice“ entgegennahm. Der Oscar ist zur größten Show der Welt geworden, und noch wichtiger als die Filme, die sie gedreht haben, sind für die Schauspieler die Kleider, die sie auf dem roten Teppich vorführen.

„Best Actress“ nimmt den Besucher mit auf eine vergnügliche Reise durch die neuere Kultur-, Mode- und Zeitgeschichte. Als Timeline fungieren die Namen der Darstellerinnen, die zusammen mit den Jahreszahlen ihrer Preiskrönung auf den Wänden umlaufen. 1929: Janet Gaynor, 1930: Mary Pickford, 1930: Mona Shearer, 1931: Marie Dressler, 1932: Helen Hayes. Mary Pickford gründete mit Charlie Chaplin die United Artists. Aber wer war Marie Dressler? Und Janet who? Von Helen Hayes ist ein hinreißendes Art-Déco-Plakat zu sehen. Über dem Film-Schriftzug „Die Sünde der Madelon Claudet“ schwebt ein traumhaft entrücktes Gesicht mit halb geschlossenen Augen hinter überlangen Wimpern.

Ruhm geht, Schönheit bleibt. Viele Protagonistinnen des Stummfilms und des frühen Tonfilms verschwanden schnell wieder im Orkus, doch die dreißiger und vierziger Jahre entwickelten sich zur Ära höchsten Prachtentfaltung. Oscar-Preisträgerinnen wie Claudette Colbert, Bette Davis, Joan Crawford, Ingrid Bergman und Vivien Leigh wurden von den Studios zu unerreichbaren Übermenschen stilisiert. Sie waren Göttinnen.

Bloß die beiden größten Diven überhaupt, Greta Garbo und Marlene Dietrich, haben nie den Award als „Best Actress“ bekommen. Die Garbo war dreimal nominiert und wurde 1955 mit einem Ehrenoscar abgespeist, die Dietrich, die seit 1930 in Hollywood arbeitete, ist einmal nominiert worden.

Endstation Kaminsims

Vielleicht hat die Überlebensgröße der frühen Stars auch damit zu tun, dass ihre Bilder nicht ständig und überall zur Verfügung standen. Das machte sie zu Wesen der Phantasie. Zum wichtigsten Medium dieser Tage stieg das Radio auf. In einem geradezu rührenden Arrangement steht in der Ausstellung ein schwarzer Röhrenempfänger neben einem Lehnsessel. Übertragen wird die Zeremonie aus dem Jahr 1944. Eine aufgeregte Frauenstimme sagt „Surprise“, dann raschelt Papier, und der Name der Siegerin lautet: Jennifer Jones. Die Geliebte des exzentrischen Produzenten David O. Selznick erhält die Trophäe für das Nonnen-Melodram „Das Lied von Bernadette“.

Kriege sind Zeiten, in denen Melodramen blühen. Aus „Vom Winde verweht“, dem Epos über die Vergänglichkeit aller Dinge außer der Liebe, ist ein Kostüm von Vivien Leigh zu sehen. Es ist ein weitschwingendes Sonntagskleid mit grünen Streifen, mit dem Scarlett O’Hara, also Vivien Leigh, Rhett Butler betört, also Clark Gable. Dahinter hängt ein Foto, auf dem Vivien Leigh, diesmal in einem zeitgenössischen Sommerkleid, den Oscar auf ihren Kaminsims schiebt. Weitere Bilder nehmen Stationen der künftigen Laufbahn vorweg. „Endstation Sehnsucht“ mit Marlon Brando. Der Oscar ist, logisch, eine Karrieremaschine.

Nach dem Zweiten Weltkrieg werden die Stars wieder mehr und mehr zu Menschen. Der Typus des „working girls“ greift um sich, parallel zur Entspannungspolitik beginnt auch die Abrüstung der Oberbekleidung. Liz Taylors Unterkleid aus der Liebestragödie „Butterfield 8“ (1960) besteht zwar, wie die Beschilderung versichert, aus „seidenem Crèpesatin mit Spitzenapplikationen“, bleibt aber ein Unterkleid, ein Kostüm minderer Güte. Sieben Jahr später entblößt sich die Taylor im Ehehöllendrama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ zeternd, saufend, zürnend noch weiter. Der Seelenstriptease ist ihre zweite Oscar-Leistung.

Die Heisere Lady

Schauspielerinnen schauspielern auch dann weiter, wenn die letzte Klappe gefallen ist. „Die Dankesreden folgen bestimmten Typen“, sagt Kuratorin Sannwald. Am Academy-Mikrofon wird gelacht, geweint, gestottert – und manchmal auf dem Weg dorthin kunstvoll gestolpert. Im Obergeschoss stehen einige letzte Kostüme in Vitrinen, darunter Marion Cotilards schwarzes Piaf-Outfit aus „La vie en rose“ und Meryl Streeps furchterregende Thatcher-Uniform aus „Die Eiserne Lady“. Über eine Bühnenleinwand flimmern Bilder und Worte von Preisträgerinnen. Am Rand steht ein echter Oscar, 34 Zentimeter groß, fast vier Kilo schwer. Er funkelt im Kunstlicht.

Bis 1. Mai 2016, Potsdamer Straße 2, Di–So 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr.

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