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Genie bei der Arbeit: Benedict Cumberbatch alias Alan Turing entschlüsselt Enigma. Links Keira Knightley als Joan Clarke.

© Jack English/SquareOne

Oscar-Favorit "The Imitation Game": Verschmähtes Genie

Das Kriegsdrama „The Imitation Game“ ist ein Oscar-Favorit. Benedict Cumberbatch spielt Alan Turing, der das Chiffriergerät der Nazis entschlüsselte und zum Pionier der Computertechnik wurde.

Er liebt Männer, mehr noch liebt er Maschinen. „Beautiful“, schwärmt Alan Turing, als ihm zum ersten Mal ein von den Nazis erbeutetes Enigma-Chiffriergerät gezeigt wird. Optisch ist der an eine übergroße Schreibmaschine erinnernde Klotz wenig beeindruckend. Umso erstaunlicher der Geist, der in ihm steckt. Die Deutschen zerhäckseln mit der Enigma im Zweiten Weltkrieg ihren gesamten Funkverkehr zu Zeichenmüll. 159 Milliarden mögliche Einstellungen, täglich wird der Code gewechselt: Turing muss eine Maschine konstruieren, die noch klüger ist.

Vor Maschinen hat er keine Angst, mit Menschen kommt er weniger gut klar. Und dass er Männer liebt, wird ihm eines Tages zum Verhängnis werden. Weil Homosexualität in der Zeit, in der Morten Tyldums Film „The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben“ spielt, in Großbritannien noch als Verbrechen gilt.

Benedict Cumberbatch als neurotisches Genie

Benedict Cumberbatch, seit seiner Hauptrolle in der BBC-Serie „Sherlock“ auf die Darstellung neurotischer Genies spezialisiert, porträtiert den britischen Wissenschaftler als visionären Sonderling. Erst Ende 20, sagt Turing: „Ich bin einer der besten Mathematiker der Welt.“ Beim Bewerbungsgespräch in Bletchley Park antwortet er auf die Frage, wie er Deutsches entschlüsseln wolle, ohne Deutsch zu können: „Ich bin sehr gut im Lösen von Kreuzworträtseln.“ Mit seiner Arroganz macht er sich Feinde.

In Bletchley Park 70 Kilometer nordwestlich von London versammelt der britische Geheimdienst Mathematiker, Sprachwissenschaftler und Schachspieler, um Enigma zu knacken. Aber Turing hält nichts von Teamarbeit, in einer furiosen Sequenz tüftelt er an der Entschlüsselungsmaschine und zeichnet Pläne, während die Kollegen in die Mittagspause gehen, plaudern und flirten. Im Gegenschnitt wird Turing als verbissener Langstreckenläufer gezeigt, zu einer Zeit, als der Begriff Jogging noch nicht existierte.

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Turing findet eine Verbündete, die junge Mathematikerin Joan Clarke (Keira Knightley). In der Männerwelt von Bletchley Park ist sie ebenso Außenseiterin wie er. Knightley ist in dunklen Tweedstoff gehüllt, trägt ein Hütchen, bemüht sich um Unscheinbarkeit. Als ihre Eltern sie nicht länger allein unter Männern arbeiten lassen wollen, hält Turing um ihre Hand an. Ihm geht es dabei um die Kollegin, die Freundin im Geiste, nicht um die Frau. Später gesteht er ihr, dass er schwul ist. „Na und!?“, entgegnet sie. „Wir wären ein ideales Ehepaar. Wir lieben uns auf unsere Art.“ Er lässt sie abblitzen, dabei liegt ihm an ihr, und ein Ehe-Arrangement wäre vielleicht seine Rettung gewesen.

"The Imitation Game" ist für acht Oscars nominiert

„The Imitation Game“, der erste englische Film des norwegischen Regisseurs Morten Tyldum, ist für acht Oscars nominiert, darunter in den Kategorien Bester Hauptdarsteller und Bester Film. Allerdings ist das Drama ziemlich konventionell inszeniert, behutsam wird zwischen drei verschiedenen Zeitebenen hin- und hergewechselt. Es beginnt im Manchester des Jahres 1951, wo Turing einen Einbruch in seiner Wohnung bei der Polizei anzeigt und daraufhin wegen „Unschicklichkeit“, das heißt: wegen seiner Homosexualität, verhaftet wird. Der Großteil des Films handelt von Bletchley Park und Turings Sieg über die Nationalsozialisten, der noch bis 1973 streng geheim gehalten wurde. Ein Ausflug führt zurück in Turings Internatszeit 1928. Da ist er ein seltsamer Kauz, sortiert die Karotten auf seinem Teller, wird von den Mitschülern verspottet und verprügelt. Seinen einzigen Freund Christopher verliert er früh. Turing nennt seine Dechiffriermaschine nach ihm, ein garagengroßes Ungetüm aus rotierenden Scheiben und endlosem rotem Kabelgedärm.

Fehlt nur noch eine Sitzmöglichkeit, dann wäre es eine Zeitmaschine. Zurück in die Zukunft: Tatsächlich ist Turings „elektronisches Gehirn“ der analoge Vorläufer heutiger digitaler Computer. Eine Pioniertat. Und ein Gerät, das es ganz allein mit den Mächten des Bösen aufnimmt: Der Film kontrastiert das Drehen der Rotoren und ihr Klackern mit dem Marschtritt von Hitlers Soldaten und dem Quietschen der Panzer bei ihrem Vormarsch in Europa. Wenn „Christopher“ endlich funktioniert, dann wird er die Deutschen stoppen.

In Wirklichkeit war Alan Turing freundlicher zu seinen Mitmenschen

Am Ende hatte er die Wahl zwischen Gefängnis und Hormonbehandlung: Benedict Cumberbatch als Alan Turing in "The Imitation Game".
Am Ende hatte er die Wahl zwischen Gefängnis und Hormonbehandlung: Benedict Cumberbatch als Alan Turing in "The Imitation Game".

© Jack English/SquareOne Entertainment

Allerdings liefert die Maschine lange keine brauchbaren Ergebnisse. Als noch einmal 100.000 Pfund Sterling für den Weiterbetrieb beantragt werden, will Commander Denniston (Charles Dance) den Großrechner abschalten. Er will auch Turing feuern, der sich nicht in die militärische Hierarchie einfügt. Denniston räumt Turing eine letzte Frist ein: einen Monat. Am Ende, der Code ist geknackt, verfolgen die Kryptografen fiebernd im Funkverkehr, wie sich ein britischer Schiffskonvoi über den Atlantik bewegt, der von deutschen U-Booten angegriffen werden soll. Aber die Militärs schlagen nicht Alarm: Die Deutschen dürfen nicht merken, dass die Alliierten Enigma überlistet haben. Dank Turings Geniestreich kann der Zweite Weltkrieg dennoch um Monate verkürzt werden, werden hunderttausende Menschenleben gerettet. „Manchmal gelingt den Menschen, von denen es sich keiner vorstellen kann, das Unvorstellbare“, heißt es gleich mehrfach im Film, mit gusseisernem Pathos.

Alex von Tunzelmann wirft dem Film "üble Nachrede" vor

Schon das Kriegsdrama „Enigma – Das Geheimnis“ (2001) hatte die Arbeit an der Entschlüsselung des deutschen Funkverkehrs geschildert, nach einem Roman von Robert Harris. Allerdings tauchte Alan Turing in diesem räuberpistolenhaften Spionageplot erst gar nicht auf. Auch „The Imitation Game“, dessen Drehbuch Graham Moore nach einer Turing-Biografie von Andrew Hodges verfasste, ist historisch nicht immer akkurat. So trat Turing in Wirklichkeit wohl wesentlich freundlicher gegenüber seinen Kollegen auf als im Film, und der Militärchef von Bletchley Park war ihm wohlgesonnen. Turing entdeckt unter den Kryptografen einen Sowjetspion, auch dieses Detail entbehrt jeglicher Grundlage. Im Film erpresst der Spion den Mathematiker: Wenn du mich verrätst, verrate ich, dass du schwul bist. Hätte sich Turing darauf eingelassen und den Agenten gedeckt, wäre er zum Landesverräter geworden. Die britische Historikerin Alex von Tunzelmann wirft dem Film deshalb „üble Nachrede“ vor. Aber ein Spielfilm folgt nun mal einer anderen Dramaturgie als die Wirklichkeit. Erhellend ist „The Imitation Game“ allemal.

Es bleibt eine bittere Pointe, wie in der Nachkriegszeit mit diesem Helden des Nachrichtenkriegs umgegangen wurde. Als Joan Clarke noch einmal zu Turing nach Manchester fährt, begegnet sie einem aufgedunsenen, zitternden Wrack. Angeklagt wegen seiner Liebe zu Männern, hatte er die Wahl zwischen Gefängnis und Hormonbehandlung. Er entschied sich für die Hormone, die seine Gesundheit ruinierten. Alan Turing starb 1954 mit 41 Jahren an einer Cyanidvergiftung. Neben seiner Leiche fand man einen vergifteten, halb aufgegessenen Apfel. Die Experten gingen von Selbstmord aus.

Ab Donnerstag in 18 Berliner Kinos; OV im Cinestar SonyCenter; OmU in den Hackeschen Höfen, im International, Kulturbrauerei, Off und Odeon

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