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Oscar-Verleihung: Lisy Christl: Kleider für die Königin

Geschichten zum Anziehen: Die Berliner Kostümbildnerin Lisy Christl ist mit ihrer Arbeit für Roland Emmerichs Shakespeare-Drama „Anonymus“ für den Oscar nominiert.

Elizabeth I., John Rabe und das Sams haben eines gemeinsam: Sie alle sind im Kino in Kostümen von Lisy Christl zu sehen. Das Kostüm ist das Puzzlestück, das Schauspielkunst und Maske zu einem stimmigen Gesamtbild vollendet. Christl entwirft die Kleider, sucht Stoffe und Schmuck aus. Für Roland Emmerichs Shakespeare-Thriller „Anonymus“ ist sie für einen Oscar nominiert – die Preise werden am heutigen Sonntagabend in Los Angeles verliehen. Trotzdem hat Christl ein geerdetes Verhältnis zu ihrer Arbeit: „Wenn ich mit meinem Kostüm den Moment getroffen habe, bin ich zufrieden.“

Die Münchnerin lebt seit zwölf Jahren in Berlin. An den Wänden ihrer Altbauwohnung in Prenzlauer Berg hängen Modezeichnungen, auf einer Pinnwand sammelt sie Ideen. Davor steht der Schreibtisch, sie sitzt auf einer umgedrehten Emaille-Mülltonne. Mit „Anonymus“ begann sie, wie sie die Arbeit an jedem Film beginnt: indem sie das Drehbuch Szene für Szene kurz im Computer zusammenfasst. „Da steht dann etwas wie: Elizabeth und ihre Hofdamen. Es ist ein besonderer Tag.“ Das elisabethanische England ist gut dokumentiert, zumindest die Kleider der Königin. Gemalte Porträts waren Statussymbole, was die Arbeit einer Kostümbildnerin erleichtert. Christl empfindet die Vorlagen nicht als Einengung. „Ich kopiere in ,Anonymus’ keine Kleider. Das macht ja keinen Spaß“, sagt sie. Stattdessen nimmt sie von einem Kleid das Mittelstück, bei einem anderen gefallen ihr besonders die Ärmel.

Im elisabethanischen England traten die Schauspieler in Privatkleidung auf

Seit ihrer Kindheit wollte Christl mit Stoffen arbeiten, absolvierte eine Schneiderlehre und begann ihre Laufbahn an den Münchner Kammerspielen, bevor sie in München ihren Mode-Meister machte. Heute ist die 47-Jährige eine der erfolgreichsten deutschen Kostümbildnerinnen. Sie arbeitete mit Michael Haneke bei „Funny Games“, „Wolfszeit“ und „Caché“ zusammen und entwickelte die Kostüme für „Schatten der Zeit“ von Florian Gallenberger. 2009 gewann sie für ihre Arbeit in „John Rabe“ den Deutschen Filmpreis.

Doch die Oscars sind eine andere Liga. Die Nominierung war ein ziemlicher Donnerschlag für sie. „Ich habe mich beim Nominees-Lunch in Los Angeles gefühlt wie ein Goldfisch zwischen diesen teuren japanischen Karpfen.“ Sie spricht langsam, bedacht, mit derselben Freude und Präzision, die in ihren Kostümen steckt.

Roland Emmerich hat ihr viel Freiheit gelassen, vor allem, was die Kostüme der Theaterschauspieler angeht, die in prächtigen Inszenierungen im Globe Theatre Hamlet, Romeo und Julia darstellen. Über deren Kostüme gibt es nur wenige schriftliche Zeugnisse, keine Zeichnungen, keine Gemälde, nichts. „Das elisabethanische England kannte das Kostüm nicht, meist sollen die Schauspieler private Kleidung getragen haben. Manchmal waren Kostüme auch Schenkungen von Adligen.“

Die Stickereien auf den Gewändern kommen von indischen Saris

Wer meint, Kostümbildner würden nur entwerfen, der liegt falsch. Organisatorisches Geschick ist gefragt, gerade bei großen Produktionen wie „Anonymus“. Christl muss angeben, wie viele Kostüme sie pro Figur benötigt, wie viele Meter Stoff, Schuhe, Schmuck. Bei den Komparsen bedeutete das anfangs profanes Abzählen: Wie viele Menschen passen im Theater in einen Zuschauerblock, wie viele Blöcke gibt es pro Etage, wie viele Etagen … „Damit schafft man sich eine Struktur“, meint Christl. Die Produktion legt dann ein Budget fest – „bei dem es ratsam wäre, es nicht zu überschreiten“.

Bei allem Mut zur Freiheit hat für sie jede Epoche auch Gesetze, die nicht gebrochen werden dürfen. Im England der Renaissance waren das für sie die hohen, steifen Kragen und Krausen, die Opulenz. „Wenn man das minimalistisch macht, trifft das den Kern der Epoche nicht. Das ist wie ein ,Thema verfehlt’ im Aufsatz.“

Die Arbeit für ein Mammutwerk wie „Anonymus“ kann Christl nicht alleine stemmen – ihr stand ein 20- bis 50-köpfiges Team zur Seite, das fast ausschließlich aus Berlin kam: ihre Assistentin, eine Koordinatorin, eine Gewandmeisterin, ein Textile Artist, der die Stoffe bearbeitet und färbt, mehrere Schneider. Sie helfen bei der Materialsuche, koordinieren die Statistenanproben, schneidern, nähen, sticken. Die kostbar verzierten Stickereien auf den „Anonymus“-Gewändern sind aber nicht alle selbst aufgestickt – bei einer Vorbereitungszeit von fünf Monaten und limitiertem Budget ist das unmöglich. Deshalb greift Christl auch auf indische Saris zurück. Einige der prächtigsten Stickereien im Film sind von Saris abgetrennt und auf anderen Stoff wieder aufgenäht worden. „Es geht immer darum, einen glaubhaften Platzhalter zu finden“, sagt sie.

Eine stolze Figur, eine straff geschnürte Weste

Christl schaut mit 2012er-Augen, wie sie es nennt, auf eine Epoche, versucht etwas zu finden, das den Zuschauer heute anspricht. So lassen die schwarzen Gewänder des kriecherischen Sohns von Elizabeths Machtstrategen William Cecil ihn mit dem Hintergrund verschmelzen, sie heben seinen Ehrgeiz und Machtwillen deutlich hervor. Elizabeths Kleider als junge und als alte Frau zeichnen die Modeentwicklung ihrer Zeit nach, lassen erkennen, wie die Röcke breiter, die Krausen und Kragen extremer wurden.

Der Moment, in dem alles zusammenkommt, ist die Anprobe samt Maske. Dann ist alles da: Frisur, Schmuck, Kostüm, Make-up. Erst dann sieht Christl, ob das Kostüm passt, ob die Proportionen stimmen, ob die Figur zum Leben erwacht. Nicht selten wird dann diskutiert. Der Schauspieler Rhys Ifans bat sie, sein Kostüm weiter zu machen. Christl lehnte ab: „Ich sagte, du brauchst das, diese Enge, du brauchst den Halt, den dir das Kostüm für die Figur gibt“. Sie hat recht behalten. Die unterdrückten Gefühle, die stolze Steifheit des Earl of Oxford, des wahren Verfassers der berühmten Stücke hinter dem Dilettanten Shakespeare, sind kaum vorstellbar, würde Ifans ein offenes Hemd tragen anstatt seiner stramm geschnürten, an Korsagen erinnernden Westen.

Dieses Gespür für Figuren, mit dem sie allein durch die Kleidung deren Inneres nach außen kehren kann, beweist Christl auch in ihrem neuesten Film, Hans-Christian Schmids Familiendrama „Was bleibt“, der auf der Berlinale im Wettbewerb lief. Die Schauspieler tragen normale Kleidung, die dennoch bewusst gesetzt ist. Gitte, die von Corinna Harfouch dargestellte depressive Mutter, trägt weiche, fließende Stoffe. Seide, Wolle, Kaschmir: edel, aber schlicht. Die Farben, sanftes Dunkelgrau und Blauschattierungen, unterstreichen das Schweigen, die In-sich-Gekehrtheit nicht nur von Gitte, sondern von der ganzen Familie. Ihre Welt ist blau-grau-weiß, einzig die Freundin des jüngsten Sohns bringt als Außenstehende mit einem roten Rock einen Farbtupfer ins Bild.

Und ihr privates Verhältnis zu Kleidung, zum Alltagskostüm? Beim Gespräch trägt Lisy Christl eine schwarze Bluse und helle Jeans. Den Kopf mit dem dunklen Bob schief gelegt, dazu ein Lächeln, das zeigt, dass sie das alles nicht so ernst nimmt. „Ich mag schöne Stoffe. Aber meine eigene Kleidung … das passiert so nebenher.“

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