zum Hauptinhalt

Kultur: Oschi ratlos

Nicolette Krebitz bringt in ihrem Debüt „Jeans“ ein paar Freunde für ein bemerkenswertes Homevideo zusammen

Um Jeans geht es schon mal gar nicht. Gut, Männer tragen irgendwelche Hosen, vielleicht sogar Jeans. Und Frauen probieren sich aus: als Feen im Zauberkleidchen, als schickberockte Süßigkeitenverkäuferin, ja, gut, auch mal in Jeans. Jeans sind in „Jeans“ so wichtig oder so unwichtig wie in anderen Filmen auch. Dafür sind sie wenigstens symbolisch bedeutsam. „Jeans“, erklärt Regisseurin Nicolette Krebitz, „steht erstmal für eine Verbindung. Man sucht immer die perfekte Jeans, die man selbst nie hat. Immer nur die anderen.“

Danke, Coco, das könnte ein Schlüssel sein zu deinem Film, zu dem die Tür allerdings weit offen steht, man kann vorbeigucken und rein oder weitergehen, der Film selber macht da weder Vorschriften noch Umstände. Es könnte also, aus dem Symbolischen gefolgert, um Zukurzkommen gehen in diesem Film, um Neid, um den prüfenden Blick, um Ratlosigkeit. Kommt Oschi (Oskar Melzer) nicht auch immer zu kurz bei seinen Versuchen, die Frauen zu erobern, in Jeans oder auch ohne? Und verführt nicht auch uns dieser Film zu einer gewissen irritierten Präzision beim Hinsehen und zugleich zu wachsender Ratlosigkeit?

Ja, und genau so ist „Jeans“ auch gemeint. „Jeans“ erzählt nicht, „Jeans“ stellt hin und aus. In „Jeans“ sollte man am besten gehen wie in einen Klamottenladen und sich nur mal umgucken und Sätze ausprobieren in der Umsprechkabine und Situationen anziehen und aus und nachher sagen oder auch nicht sagen, ob’s passt.

Oschi also. Oschi, ein bisschen angestrengt glutäugig und dick, aber einer mit Seele, will an Frauen ran. Er hat da so seine Maschen, in denen er sich allerdings gern verheddert. Sein Kumpel Marc (Marc Hosemann) dagegen nimmt sie sich einfach, verbündet sich mit ihnen schnellschnell unter der Gürtelschnalle. Und wenn Oschi Anlauf nimmt, sagt Marc schon Tschüss! Das könnte die Geschichte sein, oder nennen wir sie Rahmenhandlung. Na ja, so’n Rahmen um ein ziemlich leeres Bild. Das Bild heißt: Sommer 2001. Es heißt: Wir haben kein Geld und kein Drehbuch, aber eine Digitalkamera. Oder: Sommernächte in Berlin mit jungen, nicht besonders sympathischen Leuten, die Liebe suchen oder den schnellen Fick oder wahlweise sich selbst. Und wenn es Herbst wird in Berlin und die Leute die Winterjeans anziehen, dann fällt der Rahmen einfach auseinander. Und Abspann.

So etwa hat Nicolette Krebitz, 31 Jahre alt, nach ungefähr 31 Rollen in zwölf Jahren Schauspielerei ihren ersten langen Film gedreht. Ein Home Movie, ein Amateurvideo, aber eins mit Szene-Promis, von Benno Fürmann bis Rainald Goetz, von Mavie Hörbiger bis Jana Pallaske. Es dauert zum Beispiel 33 Minuten, bis ein Satz fällt, der etwas bedeuten will. Jana Pallaske sagt ihn, sie spielt eine Jüngstschauspielerin, die nebenbei im WMF hinterm Tresen jobbt, und sie sagt ihn voll Inbrunst in der Straßenbahn: „Ich glaub, dass ich alle Seiten von allen Menschen in mir hab. Im Grunde hat das wahrscheinlich jeder Mensch. Aber ich will all die Seiten wirklich einmal sein, bevor ich sterbe.“

Ein herzensfrisches Berufsbekenntnis ist das – aber dieser Film wäre nicht dieser Film, wenn er solchen Satz nicht gleich demontierte. Schauspielersprache ist Fake-Sprache, lernen wir, Grundgeräusch eines „Herzeige-Berufs“. Viel eher will „Jeans“ aufs Leben hinaus, auf den Alltags-Lall, den Alltags-Zufall, das Voranstolpern von Situation zu Situation. Das nervt, logisch – doch immer, wenn man fast aus der Haut fahren will oder zumindest aus den Jeans vor lauter Ärger über derlei programmatische Simplizität, dann betört einen wieder was – gerade durch diese absichtsvolle Ungelenkheit. Dann ist der Film, immer wieder mal, plötzlich beides: schön schlicht, schlicht schön.

Oder sollte da eine neue Filmsprache entstehen, so eine Art Post-Dogma ohne Zertifikat, und wir haben die Gnade, dabeizusein? Dogma holte aus der bewussten formalen Beschränkung zeitweise unerhörte inhaltliche Intensität, und das krude Krebitz-Kino, das auch in Christopher Roths „Baader“ so irritierte (von Roth kommen einige Schauspieler in „Jeans“ und auch die Kamerafrau Bella Halben), macht es genau umgekehrt: ein Kino der inhaltlichen Beschränkung, um nicht zu sagen: vorsätzlichen Beschränktheit, das zum Ausgleich ab und zu wundervolle formale Blüten treibt?

Irgendwann steigen Oschi und Jana Pallaske, die diesmal Nina heißt, nachts über einen Zaun und in einen Pool. Aber weil es Oschis Idee war, ist der Pool natürlich leer. Klar ist Oschi wieder mal ratlos, doch Nina klettert einfach runter und geht schwimmen, was ziemlich lächerlich aussehen könnte, so Schwimmbewegungen in einem leeren Pool. Vielleicht aber muss man nur jemand sein wie Jana Pallaske, die „alle Seiten von allen Menschen“ in sich drin hat und diese Seiten auch zeigen will in ihrem Leben, um so sicher zu schwimmen in einem Nichts aus Nacht und Luft und Film.

Babylon Kreuzberg, Central

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false