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Kultur: Oskar Lafontaine und Peter Sloterdijk entdeckten bei einer Diskussion in Wien Gemeinsamkeiten

Der Auftakt war prominent besetzt: Oskar Lafontaine und Peter Sloterdijk, die in jüngerer Zeit zu Chefprovokateuren des deutschen Mainstreams erhoben wurden, waren zur Premiere im Wiener Burgtheater angetreten, um die neue Gesprächsreihe "BurgZeitforum" zu eröffnen. Das Theater hat sie gemeinsam mit der Wochenzeitung "Die Zeit" ins Leben gerufen.

Der Auftakt war prominent besetzt: Oskar Lafontaine und Peter Sloterdijk, die in jüngerer Zeit zu Chefprovokateuren des deutschen Mainstreams erhoben wurden, waren zur Premiere im Wiener Burgtheater angetreten, um die neue Gesprächsreihe "BurgZeitforum" zu eröffnen. Das Theater hat sie gemeinsam mit der Wochenzeitung "Die Zeit" ins Leben gerufen. Mit seiner Befürwortung der Gentechnologie am Menschen hatte sich der Philosoph, mit seinem Rücktritt als Finanzminister der Politiker in die Nesseln gesetzt. Die zögerliche Veröffentlichung von Sloterdijks umstrittenem Vortrag "Regeln für den Menschenpark", der Wirbel um die Vorabdrucke aus Lafontaines Buch "Das Herz schlägt links" hatten die mediale Gerüchteküche angeheizt. "Ich werde es Ihnen zeitlebens hoch anrechnen, dass Sie mich seit der Buchmesse als Skandalführer abgelöst haben", bedankte sich Sloterdijk mit ironischem Stoßseufzer bei seinem Gesprächspartner.

Bei regem Publikumszuspruch waren sich die beiden Missverstandenen in Wien ganz sich selbst überlassen: Sie konnten sogar ohne Rücksicht auf einen Moderator schalten und walten. Dass dabei nach den Erfahrungen der beiden Akteure die Medien schlecht wegkamen, war vorauszusehen. "Mutwilliges Falschlesen", "linguistisches Mobbing" und "Nonsens-Reden als höchstes Menschenrecht" sei die dominierende Tendenz, bemerkte Sloterdijk mit ätzendem Spott. Die Öffentlichkeit werde inzwischen von "übel gelaunten Menschen" bestimmt, die "ihr Bedürfnis nach Überlegenheit über Personen und Sachverhalte auskippen dürfen". Behutsamer ging Lafontaine das Thema an. Als Medienprodukt fühle er sich selbstverständlich oft falsch gezeichnet. "Echtheit" der Person über Medien vermitteln zu wollen, sei aber schon in sich ein Widerspruch.

Abseits der Verletztheiten ging es bei der Sonntagsmatinee in Wien allerdings auch klipp und klar zur Sache. "Wenn man die Dinge im Griff behalten will, ist der Nationalstaat überfordert", stellte Lafontaine klar. Andererseits könne das international vorherrschende Modell des Neoliberalismus, das Bürger nur noch als Marktteilnehmer betrachte, Krisen wie in Ostasien mit schlimmen Folgen wie dem Einbruch ganzer Volkswirtschaften und Massenarbeitslosigkeit nicht verhindern. Der Internationale Währungsfond werde bei der Kreditvergabe zur Risikoabsicherung dieses Systems im Interesse der Spekulanten des schnellen Geldes gedrängt. "Die Gewinne werden privatisiert, die Verluste sozialisiert", klagte Lafontaine. Sein Ziel, das er in der rot-grünen Koalition nicht habe durchsetzen können, sei deshalb der Einbau von Sicherungen in der internationalen Finanzwelt. Dass er damit zumindest von der Stoßrichtung her die Sympathie Sloterdijks findet, deutete der Philosoph mit seiner Bemerkung von der "internationalen Ratlosigkeit" an, die "sich selbst hypnotisch übertönt".

Sloterdijk allerdings fand - meist in der Rolle des Fragestellers - auch Zeit zur Klarstellung der eigenen Position. Fortschritt hat für den Philosophen zwei Dimensionen. Da sei einerseits die "rasende Entwicklung" von Forschung, Technologie und Wirtschaft. Die Entwicklung von Recht und Regeln habe damit nicht Schritt gehalten. "Fortschritt eins und zwei treffen auf immer größere Vermittlungsschwierigkeiten", so Sloterdijk. Aus diesem Grund - und so sei sein Exkurs zur Gentechnologie gemeint gewesen - müsse auch die moderne Forschung der gesellschaftlichen Kontrolle unterstellt werden. "Wir dürfen uns die Zügel der Menschenbildung nicht von einer zügellosen neoliberalen Wissenschaft aus der Hand nehmen lassen", begründete Sloterdijk seine Stellungnahme für eine durchdachte Anwendung der Gentechnologie.

Die gebrandmarkten Außenseiter waren sichtlich besorgt, sich zu rechtfertigen, tief sitzende Verletzungen wurden spürbar. Noch einmal rechtfertigte Oskar Lafontaine seine Ablehnung des Kosovo-Krieges. Die Ausschaltung der UNO bei der Nato-Entscheidung räche sich nun bei den russischen Angriffen in Tschetschenien, weil sich Moskau auch nicht mehr an internationale Verpflichtungen gebunden fühle. Noch einmal widerholte der Sozialdemokrat seine Skepsis gegenüber der deutschen Wiedervereinigung. Nicht die gemeinsame Regierung sei für den einzelnen die entscheidende Kategorie, sondern die Erfahrung von Freiheit, Wohlstand und Arbeit. Mit seiner Bemerkung, fast ein Drittel der deutschen Nation befinde sich im Zustand der "psychologischen Annexion", gab Sloterdijk seinem Gegenüber auch in diesem Punkt recht. Die These Sloterdijks, wonach die Konstruktion organischer Zusammengehörigkeit bereits beim Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich 1938 schlimme Auswirkungen gehabt habe, fand auch beim Wiener Publikum wohlwollenden Beifall.

Ungewöhnlich an dem neu geschaffenen Gesprächsforums im Burgtheater ist laut seiner Initiatoren, dass "ein Medium sich zurücknimmt", das gewöhnlich Sprache in Spielhandlung umsetzt. Man mag darüber streiten, ob ein Theater der richtige Ort für solche Debatten ist, oder ob es die Auseinandersetzung nicht besser mit den eigenen Stilmitteln führen sollte. Auch Sloterdijk überkam leicht sarkastische Verwunderung über das "Privileg", mit seinem Diskurspartner nun "Burgschauspieler geworden zu sein". Der Vielbelesene verwies allerdings auf Stefan Zweigs Schilderung der altösterreichischen "Welt von gestern", in der das Burgtheater Mittelpunkt der gesellschaftlichen Meinungsbildung gewesen sei "wie heute eine Talkshow zur besten Sendezeit". Es bleibt die angenehme Erfahrung, dass die Talkshow vom Sonntagvormittag zumindest ohne Talkmaster auskam. Und dass es nicht der Kontroverse bedarf, um die Verweigerung des Schwimmens mit dem Strom zu begründen.

Ulrich Glauber

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