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Kultur: Ostwärts, ho!

geht auf den großen Treck Wer mit der Zeit gehen will, muss außerordentlich anpassungsfähig sein. Viele Trends haben wir in den vergangenen Jahren mitmachen müssen.

geht auf den großen Treck Wer mit der Zeit gehen will, muss außerordentlich anpassungsfähig sein. Viele Trends haben wir in den vergangenen Jahren mitmachen müssen. Was haben wir dabei gelitten! Das meiste allerdings haben wir verdrängt. Kein Wunder: Wer erinnert sich schon gerne daran, wie er einst mit Gasmaske, Strahlenschutzanzug und einem Staubsauger auf dem Rücken in düsteren Bunkern zur Melodie von Dampfhämmern geschwitzt hat? Wie hieß dieser Trend noch mal? Irgendwas mit T.

Dann war da noch jene Zeit, in der Polyesterhemden mit Spitzkragen, pudelähnliche Perücken und Refrains wie „Du bist so heiß wie ein Vulkan“ oder „Hossa“ ertragen werden mussten. Guildo Horn ist für ehemalige Schlagerfreunde seitdem der meistgesuchte Mann neben Osama bin Laden. Gerüchten zufolge soll er sich an einem Ort namens Mendocino verstecken.

Eine der erstaunlichsten Moden, die Trendscouts unseres Vertrauens beobachten, ist die Countrymode. Wann genau sie begann, ist schwer zu sagen. In der Buchhandlung haben wir sie zuerst gesehen: Mädchen mit Fransenhemd und rotem Pistolenholstern um die mageren Hüften, in denen Tischtennisschläger steckten. Blankgezogen wurde beim Ping- Pong-Country. Seitdem ist die Westernmode nicht ausgelaufen. Bei der Bunny Lecture im nbi (nächster Termin am 25.8. um 20 Uhr an der Schönhauser Allee 157) erklärte der Westernexperte Kurt Scheel unlängst seinem dreißig Jahre jüngeren, gebannt lauschenden Publikum, worum es dabei wirklich geht: Western handeln von Konflikten. Anders als im wirklichen Leben werden sie in der Regel innerhalb von 90 Minuten ausgefochten – und ein für allemal gelöst. Am Ende siegt in den meisten Fällen das Gute, das Böse haucht sein Leben in den Staub.

Wahrscheinlich bezieht der Wilde Westen aus dieser Unerbittlichkeit seine Attraktivität für die Konsensgesellschaft des Nachtlebens. Nichts ist auf Dauer langweiliger, als wenn alle dieselbe Musik gut finden, die gleichen Klamotten tragen und die gleichen Mienen ziehen. Unter der breiten Krempe eines Stetsons aber könnte man einmal den Outlaw rauslassen. Während sich die Mutigen bislang in abgeschlossenen Arealen trafen, entstehen nun neue Westernstädte.

Im Zuge der fortschreitenden Dezentrierung des mittemüden Nachtlebens zieht der große Treck immer weiter ostwärts. Das Holzmarkt an der gleichnamigen Straße (Hausnummer 25, Friedrichshain) sucht die Nähe des im Berliner Goldrausch gegründeten Universal-Areals. Neben Maria und East-Side-Galerie lockt da ein rohgezimmerter Open-Air-Saloon die Glücksritter an die Tränke. Man sitzt am Ufer des Blue River, im Baum dreht sich träge eine Spiegelkugel. Am Wochenende ist rund um die Uhr geöffnet. Wer zwischendurch mal muss, geht ins Dixieland.

Auch wenn die elektro-akustische Musik von Vanishing Breed (Freitag) und DJ Cornelius Tittel (Samstag) kein Country ist, fällt man mit Cowboyhut nicht weiter auf. Das ist zwar genau die Art Garderobe, an die wir uns in ein paar Jahren lieber nicht mehr erinnern. Aber bis dahin fließt ja noch viel Wasser die Spree hinunter.

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