zum Hauptinhalt
Doppelter Otis. Der Sänger und Romanautor Jochen Distelmeyer, 47, im Fahrstuhl.

© Rowohlt Verlag/Frank Zauritz

"Otis" von Jochen Distelmeyer: Schiffbruch in der Odyssee

Berliner Irrfahrt mit einem Helden in Plüschgewittern: Der Blumfeld-Musiker Jochen Distelmeyer hat mit "Otis" einen leider nicht so tollen Roman geschrieben.

Die ersten ernsthaften Irritationen bei der Lektüre dieses Debütromans von Jochen Distelmeyer setzen ein, als Hans Barlach seinen Auftritt hat. Jürgen Zaller heißt der Hamburger Investor und Suhrkamp-Krieger hier, und weil der ja „eine Art Verleger“ ist, trifft sich Distelmeyers Hauptfigur, der angehende, wegen einer zerbrochenen Liebesbeziehung von Hamburg nach Berlin gezogene Romanschreiber Tristan Funke, mit Zaller/Barlach in einem Restaurant. Er zeigt sein Manuskript und muss Sätze hören wie: „Athene! Eine wohlmeinende Stalkerin. Hermes als schwuler Theaterregisseur. Teiresias? Natürlich ein transsexueller Taxifahrer. Analsex. So was wollen die Leute lesen! Nicht dieses verklemmt-verkünstelte Festhalten am Autorensubjekt. Pan ist tot!“ Oder auch: „Die Zukunft verlangt nicht nur nach vollkommen neuen verlegerischen Konzepten, sondern braucht vor allem andere Autoren.“

Gut möglich, dass Jochen Distelmeyer beim Schreiben dieser Passage seinen Spaß gehabt hat, er diesen Barlach-Auftritt witzig oder originell findet. Ein Gimmick halt. Und vielleicht zählt auch er sich zu den „anderen Autoren“, die die Zukunft braucht. Denn Distelmeyer ist gelernter Popmusiker und berühmt geworden als Sänger und Mastermind der Hamburger Diskursrock-Band Blumfeld. Mit dieser demonstrierte er zunächst, dass auch in Deutschland Pop und (linke) Politik effektiv verbunden werden können, dass auch Liebeslieder politisch sein können; später übte er sich darin, die Spanne zwischen Kitsch, Literarizität und Zitatpop so weit wie möglich zu halten, da outete er sich gleichermaßen als Verehrer von Bands wie der Münchner Freiheit oder von George Michael wie als Apfelmann und Naturbursche.

Nur zu dem Status eines Grönemeyer oder eines Müller-Westernhagen oder eines Campino langte es dann nicht. Blumfeld lösten sich auf, Distelmeyer veröffentlichte mit „Heavy“ ein folgenlos in den Pop-Betrieb eingespeistes Soloalbum und vertrieb sich zuletzt die Zeit damit, das Blumfeld-Frühwerk wieder live aufzuführen – und eben zu schreiben. Wie so viele das gerade machen, die nicht im Erstberuf Schriftsteller sind, sondern Journalisten, Fernsehprominente und besonders auch Popmusiker.

Ob Suhrkamp, Christian Wulff oder der Irak-Krieg: „Otis“ steckt voller Bezüge zur Gegenwart

Wobei Letztere schnell einem Missverständnis ausgesetzt sind: Wer Songs schreiben kann, kluge, intelligente Song lyrik zumal, muss doch auch längere Prosa oder einen guten Roman zustande bekommen! Und da wird dann auch investiert: Der Rowohlt Verlag hat Distelmeyers Romandebüt, das den Titel „Otis“ trägt, die Weihen eines Spitzentitels verliehen, mit Cover und gleich sechs Seiten in der Winter- und Frühjahrsverlagsvorschau (zum Vergleich: Martin Walser bekam darin vier Seiten, Jonathan Franzen oder Paul Auster zwei). „Am Anfang war die Musik“ heißt der Werbeslogan des Verlags, und tatsächlich wirkt dieser Roman über weite Strecken dann auch so, als habe ihn Distelmeyer wie einen seiner aus Zitaten, knuffigen politischen Aussagen und mal mehr, mal weniger zusammen passenden Reimen bestehenden Songs komponiert.

„Otis“ steckt voller Bezüge zur Gegenwart. Der Entstehungsprozess des Holocaust-Mahnmals und das Gezerre darum wird genauso schnell auf ein paar Seiten geschildert wie eben die Suhrkamp-Streitsaga oder die Geschichte des Tierparks Friedrichsfelde inklusive des Streits über den umstrittenen Direktors Bernhard Blaskiewitz wegen seines rüden Umgangs mit Mitarbeitern und Tieren. Und nicht nur Hans Barlach hat einen Auftritt, auch Dichter und Kritiker dürfen sich über Gott und die Welt auslassen oder in Zungen reden; und ein Kapitel besteht vor allem aus dem in die Erzählung montierten Dialog eines Beckett-haften Theaterstücks mit dem Titel „Das Loch“, das sich Distelmeyers Romanheld Tristan Funke und seine Cousine am Deutschen Theater anschauen.

Ja, es steckt viel drin in diesem Roman. Distelmeyer verwirklicht, was der Held seinerseits in seinem ebenfalls „Otis“ betitelten Romanvorhaben alles unterbringen will, von „Einschätzungen zur Lage in Europa, Griechenlands und zum Zusammenbruch der sozialen Sicherungssysteme“ bis hin zu „Mutmaßungen zur Aktualität der Odysseussage und ihrer tieferen Bedeutung.“ Die Mühen und das Scheitern des einen, Tristan Funke, ist der Stoff und leider auch das Scheitern des anderen, von Distelmeyer. Ein Roman ist halt kein Popsong, der durch die Musik seine Form, seinen Zusammenhalt bekommt, nicht zuletzt bei auseinanderstrebenden, auch unsinnigen Lyrics.

Verspätete Berlin-Romane hat man nun wirklich schon genug gelesen

„Otis“ jedoch wirkt lose, stückwerkhaft, ohne Zusammenhalt. Und kreist um ein leeres Zentrum, in dem sich weder die Liebe und die Liebelosigkeit noch die Mittellebenskrisen der Distelmeyer-Generation und die Orientierungslosigkeit des Helden noch Homers hier beständig nacherzählte „Odyssee“ entschieden Geltung verschaffen. Nicht mehr ganz junger Mann streift hin und her durch Berlin, viel mehr passiert nicht: von Prenzlauer Berg, wo er wohnt, nach Mitte, wo er seine Cousine und seinen Onkel trifft, in den alten Westen, wo er Zaller/Barlach trifft, und nach Kreuzberg, wo er auf einer Abschiedsparty seines Freundes Ole alle seine Freundinnen, Ex-Freundinnen und Geliebten trifft, die Saskias, Leslies, Stellas, Dinahs.,die es genau wie die Carstens und Oles alle nicht leicht haben in ihren mittleren Jahren. Am Ende geht es in den Tierpark Friedrichsfelde.

Eine Berliner Odyssee also, mehr so ein Odysseechen, eine Irrfahrt durch Plüschgewitter, bei der sich die Aktualität und tiefere Bedeutung der Odysseus-Sage nicht erschließen, sondern auf bloßer Behauptung beruhen. Und verspätete Berlin-Romane hat man nun wirklich schon genug und bessere sowieso gelesen: „Im Westen war die Zeit stehen geblieben“, heißt es zum Beispiel einmal. Wenigstens ist das Licht „hier anders“ und „ging das Leben auch hier seinen gewohnten Gang, verlief in geordneten Bahnen und sprach so den Gazetten und Stadtmagazinen Hohn, die regelmäßig von einer Wiederbelebung des alten Westens zu berichten wussten.“

Der Sprachvirtuose Jochen Distelmeyer hat keinen Sound

Frappant ist, dass der seinerzeit in seinen Songs so virtuos mit Sprachversatzstücken hantierende Distelmeyer über keine eigene Erzähl-Sprache verfügt, nicht mal über einen Sprachsound. Die formalen Spielereien sind das eine, die Theatermontage, eine durchaus rhythmische Passage mit lauter elliptischen Sätzen ohne Subjekt, Kapitelanfänge aus der Perspektive immer wieder anderer Figuren um den Helden herum. Doch schwerer wiegt, dass die Binnengeschichte, die von Tristan Funke, brav und schlicht erzählt ist; die Nonsens- oder Diskurs-Monologe mancher Figuren ragen da schon heraus und enthalten mehr Leben als die Figuren selbst. Geradezu hilflos wirkt es, wenn Distelmeyer unentwegt Synonyme für seine Figuren verwendet, um diese nicht dauernd bei ihrem Vornamen nennen zu müssen. Es wimmelt hier nur so von „hübschen Vierundzwanzigjährigen“, „bodenständigen Mittdreißigerinnen“, „dunkelhaarigen Süddeutschen“ oder „jungen Autoren“.

Ach, wie schön dichtete doch Jochen Distelmeyer in seiner Blumfeld-Frühzeit eine Liedzeile des Schweizer Trios Peter, Sue & Marc um: „Rock ’n’ Roll hat meinem Leben einen neuen Sinn gegeben“. In der Literatur hat sich ihm, so scheint es, der Sinn noch nicht erschlossen, da ist er noch auf Suche.

Jochen Distelmeyer: Otis. Roman. Rowohlt, Reinbek 2015. 282 S., 19,99 €. Buchpremiere: Dienstag, 3. 2.,Babylon Mitte, Eintritt 15 €

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false