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Kultur: Ouzo auf Otto

Sonntag in New York: Ground Zero, Independance Day und Griechentaumel

Gleich vor den riesigen Eisengittern, die Ground Zero umzäunen, stehen Japaner, Holländer, Italiener und fotografieren sich mit Ground Zero. Sogar eine gesamte kanadische Basketballmannschaft steht am Sonntagmorgen zum Mannschaftsfoto vor den Tafeln mit den Namen der Opfer, die man allerdings hinter den Basketballern nicht mehr sieht. Die Verschmelzung von Trauer und Sightseeing funktioniert bei Ground Zero auf jeden Fall sehr gut, und es liegt wahrscheinlich an der amerikanischen Unempfindlichkeit für Vereinnahmungen, dass die kanadische Basketballmannschaft hier sogar eine gute Figur macht, was man sich in Bergen-Belsen oder Dachau nicht so vorstellen könnte.

Derweil die Touristen sich also vor der Terrorlandschaft beschäftigen, findet unten, kaum zu sehen in der weiten Fläche, die Grundsteinlegung für Libeskinds Freedom-Tower statt. In den Tagen vor dem in deutschen Zeitungen gefeierten „Neubeginn New Yorks“ wusste allerdings kaum ein Bewohner der Stadt, dass da ein Grundstein gelegt werden soll, geschweige denn, wann. Es gab keine Vorberichte in den amerikanischen Zeitungen, keine Chronik der letzten drei Jahre vom Einsturz bis zum neuen Grundstein, stattdessen TV-Sondersendungen am Vorabend wegen der Niederlage der Yankees, beim Baseball. Vielleicht ist das typisch New York. In Deutschland rühren sie immer noch im Ground-Zero-Pathos. In Manhattan sind drei Jahre Vergangenheit mindestens zehn. und die Selbstverständlichkeit ist beeindruckend, mit dem der Satz „We will never forget“ zum Slogan auf Caps, Shirts und Tassen geworden ist.

Unten auf dem Grund stehen ganz klein ein paar Angehörige der Opfer mit Gouverneur und Bürgermeister neben einem Granitbrocken. Ein Opernsänger singt, aber der Wind weht den Gesang in die dahinter liegenden Subway-Schächte. Als Europäer, zum ersten Mal seit dem 11. September in New York, erwartet man natürlich eine Riesenshow; bei jedem Flugzeug, dass zwischen den Wolkenkratzern auftaucht, steigen einem die Bilder hoch, und man schaut die New Yorker an und wartet, dass auch sie in den Himmel blicken. Oder die Enttäuschung am Flughafen! Von Fingerabdrücken war die Rede, von biometrischen Untersuchungen wurde gemunkelt, Schily hoch zehn mit Terrordatei. Stattdessen nur Schlangestehen und ein müdes „Do you have a cat in your handbaggage?“ – „No, it’s only a Hutschachtel.“ – „Okay, bye-bye.“

Sehen die gar nicht, dass man ein totaler Bush-Feind ist? Warum konfiszieren die nicht meinen aus Cannes mitgebrachten Michael-Moore-Anstecker? Das sind die Geschichten, die man will: sich extra so eine Plakette an den Pulli stecken und dann auf das FBI warten oder Condoleezza Rice. Aber nichts passiert!

Wenn man dann durch New York läuft mit dem Anstecker, meint man, mit Michael Moore und noch ein paar anderen aus Hollywood der einzige Mensch zu sein, der gegen Bush kämpft. Aber nein, an jeder Straßenecke stehen Studenten, Künstler, sogar ältere weiße Damen und Herren in Anzug mit Schlips von „Downtown for Democracy“ und halten „Against Bush“-Schilder hoch. Kann ja sein, dass bei uns hierzulande Wolf Biermann oder Angela Merkel immer noch überzeugt sind von der US-Außenpolitik. An fast jedem New Yorker Häuserblock aber stehen die Menschen mit Anti-Bush-Ansteckern und informieren ausführlich über die republikanische Sozialpolitik. Man hatte in den Monaten nach dem 11. September von anderen Dingen aus New York gehört, von Berufsverboten und gesellschaftlichen Ausgrenzungen. Und nun überall Bush-Gegner und Vorträge über soziale Kälte und den anhaltenden Irakkrieg, na ja, da braucht man nicht mehr subversiv einzureisen, das ist ja hier eine Mehrheitsbewegung.

So bleibt am Ende eigentlich nur noch ein Amerika-Klischee: Es ist als europäischer Fußballwahnsinniger ein Albtraum, die ganze Euro zu gucken, um ausgerechnet ab dem Halbfinale in den USA zu sitzen und 166 TV-Channels abzuklappern! Portugal gegen Holland, das erfuhr ich noch vom Piloten der Malaysia Airlines über Grönland. Aber Griechenland gegen Tschechien? Stundenlang laufen auf den Nachrichtensendern irgendwelche dicken gepolsterten Männer kaugummikauend im Kreis herum, nachdem sie mit einer Keule einen Ball in die Tribünen geschlagen haben. Ich weiß schon, das ist Baseball , okay, aber warum denn so lange?

Wenn man auf 166 Channels Grafiken zeigt, auf denen zu sehen ist, in welchem Winkel der Ball vom Pitcher von der Keule des Batters abgeht, dann kann man doch auch mal ganz kurz Griechenland – Tschechien... Kann man nicht.

Am Sonntag, nach der Grundsteinlegung und vor dem Feuerwerk am Hudson River zum Unabhängigkeitstag, fuhr ich nach Queens, immer noch ohne die geringste Ahnung, wer gegen Portugal im Finale spielt. In Queens leben wahrscheinlich mehr Griechen als auf Kreta und Rhodos zusammen, und in diesen Nachmittagsstunden in Queens wurde einem sehr schnell klar, dass die Griechen im Endspiel standen.

Zum Schluss, als der ganze Stadtteil in Blau-weiß tanzte, ging ich in einen Park, in dem eine Sokrates-Statue steht. Sokrates hatte eine weiß-blaue Fahne umgehängt, und auf seine Stirn war ein Bild von Otto Rehhagel geklebt. Da sahen sie vom Sockel herunter, die beiden europäischen Lehrmeister, ein Stück altes Europa mitten in Amerika. Auch damit war nicht zu rechnen. Ich klebte das Rehhagelbild über meinen Michael-Moore-Anstecker, einfach Otto über Moore drüber, und blieb in Queens. Nicht mit Cola und Chicken, sondern mit Bifteki und Ouzo.

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