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P. Diddy: Der hyperaktive Lover

Urbane Nachtmusik: Hip-Hop-Eminenz P. Diddy hat mit seinem neuen Projekt Diddy Dirty Money ein Konzeptalbum aufgenommen

Von Jörg Wunder

Da hat einer der Lautsprecher des HipHop mal wieder die Klappe weit aufgerissen. Auf das nächste Level werde sein kommendes Album die Black Music heben, ließ sich Sean Combs im Vorfeld der Veröffentlichung zitieren. Einen Trend werde es initiieren: Train Music. Tatsächlich führt die neue Platte des als Puff Daddy, P. Diddy oder aktuell Diddy bekannten Musikers die Eisenbahn bereits im Titel: „Last Train to Paris“ ist ein Konzeptalbum über einen international operierenden Nightlife-Businessman, der im Ärmelkanal-Tunnel die Frau seines Lebens kennenlernt.

Eine recht banale Love Story mit autobiografischen Zügen – der 41-jährige New Yorker führt wie seine Kunstfigur ein von Orts- und Beziehungswechseln geprägtes Jetset-Dasein. Bemerkenswert ist das Sujet insofern, als das Hohelied der Liebe nur selten gerappt wird. Der Aggregatzustand von Hip-Hop ist eher die Zwietracht, wofür die Karriere von Sean Combs exemplarisch steht.

Gemeinsam mit seiner Entdeckung, dem schwergewichtigen Rapper The Notorious B.I.G., stand Combs im Zentrum eines Hip-Hop-Bandenkriegs zwischen West- und Ostküste: Binnen weniger Monate wurden mit 2Pac und Notorious B.I.G. die größten Hoffnungsträger erschossen. Combs kam mit heiler Haut davon und schlug Profit aus der Tragödie. Mit „I’ll Be Missing You“ schrieb er dem ermordeten Freund ein kitschiges Requiem, das zur bestverkauften Hip-Hop- Single der Neunziger avancierte. Grundstein für ein Geschäftsimperium vom Plattenlabel bis zur Restaurantkette, mit dem Combs ein Privatvermögen von 350 Millionen Dollar anhäufte.

Doch Sean Combs wurde nicht nur der reichste, sondern auch der umstrittenste Hip-Hop-Künstler: Als talentfreier Strippenzieher und Totengräber des wahren Hip-Hop wurde er geschmäht. Zweifellos hat Diddy als Akteur und Role Model die Turbokommerzialisierung der Black Music beschleunigt. Immerhin aber ist er uneitel genug, zu erkennen, dass seine Fähigkeiten als Rapper begrenzt sind. Daher holt er sich stets begabtere Stimmen für seine Plattenaufnahmen hinzu.

Bei „Last Train to Paris“ führt dies erstmals zu einer bandähnlichen Konstellation: Combs hat sich mit den R ’n’ B-Sängerinnen Dawn Richards und Kalenna Harper zu dem Trio Diddy Dirty Money zusammengetan. Für eine Hip-Hop- Blockbuster-Produktion eine etwas dünne Personaldecke, weshalb zusätzlich Prominenz wie Grace Jones, Justin Timberlake, Chris Brown, Usher, Bilal oder Lil Wayne angeheuert wurde.

Kommerziell lohnt sich dieser Aufwand kaum noch: In den USA blieb die Platte bei 200 000 verkauften Exemplaren hängen. Künstlerisch ist „Last Train to Paris“ eine Offenbarung, ähnlich wagemutig wie Kanye Wests Meisterwerk „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“, an dem sich die zeitgenössische Black Music messen lassen muss. Dabei schneiden Diddy Dirty Money gar nicht schlecht ab.

Die Bandbreite der 15 Tracks ist enorm. Es gibt glorios aufgefächerte Gesangsarrangements wie bei „Yesterday“ oder dem Allstar-Treffen „Shades“, bombastische Gladiatorenbeats bei „Coming Home“, hyperaktive Rhythmuscluster bei „Yeah Yeah You Would“, geniale Sound-Reduktion beim luftig um ein Sixties-Soul-Sample gestrickte „Someone To Love Me“. Und es gibt ein Wiederhören mit Notorious B.I.G.: Mag die Verwendung 15 Jahre alter Studio-Überbleibsel moralisch fragwürdig sein, das Ergebnis rechtfertigt Diddys Kaltschnäuzigkeit. B.I.G. war einer der besten Rapper aller Zeiten, seine wuchtigen Verse über das Maschinengehämmer von „Angels“ sind phänomenal.

Der Einfluss der achtziger Jahre ist unüberhörbar: klirrende Synthesizer, pumpende House-Bässe, das klassische Rumpeln der Roland-808-Drummachine, hysterische Michael-Jackson-Kiekser, hämmernde Eurotrash-Beats – die Klangbausteine für eine Ü-40-Party sind alle da. Doch Sean Combs betätigt sich nicht als plumper Kopist wie zuletzt die Black Eyed Peas. So landet er auch nicht bei einer dumpfen Funktionsbeschallung für die Großraumdisco, sondern bei einer urbanen Nachtmusik von enormer Eleganz. Poliert, effizient und stromlinienförmig wie einer der pfeilschnellen Eurostar- Züge zwischen London und Paris. Echte Train Music eben.

„Last Train to Paris“ erscheint am 4.2., auf Bad Boy Records/Universal

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