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Kultur: Pack die Tigerin in den Tank

Im Dickicht: Mit ihrer „Meistersinger“-Inszenierung steckt Katharina Wagner das Terrain in Bayreuth ab Die Tradition als Schlager- show: ein Kopfstand der Regie

Jetzt endlich ist es also heraus, und die Wagnerwelt wischt sich erschöpft den Schweiß von der Stirn: Diese Frau ist als Kämpferin, Blutsschwester und Verbündete, als Hebamme, Nanny und eventuell sogar als feste Größe in einer wie auch immer konstruierten Festspielleitung der Zukunft unbedingt wünschenswert. Denn so viel Bauch am rechten Fleck, ein solch rasendes Tigerinnenherz macht ihr so schnell keine nach. Katharina Wagner graust es vor nichts: weder vor der ranzigen Rezeptionsgeschichte der „Meistersinger“ auf dem Grünen Hügel noch vor den einschlägigen Ingredienzien des Regietheaters. Die „Kathi“ ist ein Kind ihrer Zeit. Kennt alles, kriegt alles. Und weiß dann aber auch nicht weiter. Ein Vorwurf? Eine Diagnose. Die 29-Jährige mag Kraft haben, Courage, einen Willen zur Macht – die Mutter Neu-Neu-Bayreuths ist sie nicht.

Diese Ambivalenz beschert ihr am Ende zweimal das gleiche Spiel – und einen seltsam verunglückten, windschiefen Applaus nach all den Strapazen. Evchen nämlich (Amanda Mace) tritt nach sechseinhalb zunehmend stickigen Stunden und ein paar hübschen Flötentönen vor den Vorhang – und wird weggebuht. Zu Recht. Weil sie außer jenen Tönen wenig beizusteuern hat zu Wagners „verkaufter Braut“, die hier um eines Kunststreits willen verschachert wird; weil man sechseinhalb Stunden lang von dieser Eva kein einziges Wort versteht; und weil die Bühnenfrauen an diesem enorm aufgeladenen 96. Bayreuther Eröffnungspremierenabend ohnehin nichts zu melden haben, ausgerechnet. Als hätte Katharina Wagner sie kurzerhand – vergessen. Überlesen im Wust der Thesenpapiere, Kopfgespinste und Konzepte. Einfach verschusselt.

Mal tollt Evchen also wie ein junges Zicklein über die Szene (freilich nicht ganz so schlank), mal ist sie Muse und lässt sich von Stolzings Pinsel (!) ganzkörperbemalen, mal mutiert sie im apricotfarbenen Kostüm zum Angela-Merkel-Verschnitt. Für all das kann Amanda Mace höchstwahrscheinlich nichts. Ebenso wenig, wie Franz Hawlata die doch ziemlich handgreifliche Umpolung des Hans Sachs anzulasten ist: das Klischee eines Intellektuellen und 68ers, Nickelbrille, Dauerkippe im Mundwinkel und die baren Füße vorzugsweise auf dem Tisch abgelegt. Klar, dass diese Type sich früher oder später in Anzug, Krawatte und Schuhe werfen würde, um ihren Kunstbegriff, ihre Ideologie des Progressiven gegen alles Anarchisch-Kathartische, Wehrhafte zu verteidigen.

Auch Hawlata wird ausgebuht. Ebenfalls zu Recht. Weil sein Bariton weder die Ausstrahlung noch im Ansatz die Autorität für seine Partie besitzt. Selbst wenn man nicht nach Idealtypischen wie Schorr, Hotter oder Donald MacIntyre schielt: eine glatte, peinliche Fehlbesetzung. Und wiederum ist nahezu kein Wort zu verstehen. Und das bei diesen Textmetern. Auf dem Papier, bei Richard Wagner, ist Sachs immerhin derjenige, der entsagt, sich überwindet („Euch macht Ihr’s leicht, mir macht Ihr’s schwer“) – und das Innovative mit der Tradition versöhnt, die Zukunft mit ihrer Vergangenheit, das Leben mit der Kunst und das eigene Begehren mit der Gesellschaft. In der Regie der Wagner-Urenkelin indes regiert der Holzschnitt, existiert nur schwarz oder weiß – und Sachs ist weder als Salon-Revoluzzer noch als Apparatschik eine ernstzunehmende Option.

Kaum aber regt sich während des Sängerdefilees das erste empörte Grummeln im Saal, ist Katharina Wagner mitsamt Team (Tilo Steffens für die Bühne, Michaela Barth für die Kostüme) zur Stelle: schlägt den Vorhang beiseite, nimmt die Gezausten unter ihre Fittiche und sämtliche Buhs auf ihre Kappe. Ganz gleich, ob sie beim Verbeugen an der Reihe gewesen wäre oder nicht. Eine unkonventionelle Geste und eine bittere Gewissheit. Denn ob die Riege der Alt-Wagnerianer die Kirche des ersten Aktes nun gegen ein muffiges Konservatorium und die Festwiese des dritten gegen eine Theater-im-Theater-Situation eintauschen muss, ob politische und/oder familiäre Kreise Katharina Wagner dieses Debüt als Debüt neiden, oder ob man sich eher an der dramaturgischen Brechstange des Ganzen stößt, am sich Hangeln von Einfall zu Einfall (Dramaturgie Robert Sollich): Der Regie waren die Buhs von vornherein sicher. Auch das muss man sich vergegenwärtigen – und verkraften.

Allerdings ist die Kunstleistung hier nicht wirklich dazu angetan, großmächtige Verteidiger auf den Plan zu rufen. Das Stück läuft in eine Falle, sagt Katharina Wagner etwa und flankiert Sachs im Schlussbild („Ehrt Eure deutschen Meister!“) mit Goethen und Schillern. Zwei riesige Bronzestatuen, schwer nazistisch – Leni was here – von unten angestrahlt. Eine Reminiszenz an die braune Vergangenheit des Grünen Hügels? Kritik an der Hartleibigkeit der Alt-Linken als machtversessene Wendehälse und Raffzähne? Eine Absage kurzerhand an jede Botschaftlichkeit – des Stücks, des Hügels, des Abends, der Welt, ja der Musik? Das, mit Verlaub, haben Castorf, Meese & Co. nicht nur bei ihren „Meistersingern“ überzeugender hingekriegt, präziser, existenzieller, provokanter, weil: denk- und glaubwürdiger. Indem sie eine Obsession verfolgen und eine Maßlosigkeit besitzen, eine Unverschämtheit (im Wortsinn) vor dem Wagnerschen Œuvre. Indem es da etwas gibt, eine Gegenwart, ein trotziges, gieriges Ich, vor dem auch das Werk sich zu verantworten hat.

Hier scheint Katharina Wagners Problem zu liegen. Auf ihrem strammen Marsch weg von gewissen Aufführungspraktiken, weg vor allem von den inszenatorischen Hausbackenheiten ihres Vaters Wolfgang, packt sie kurz entschlossen alles in den „Meistersinger“-Tank, was dem ästhetisch-programmatisch nicht entspricht. Und wird trefflich fündig: wildert ein bisschen auf Christoph Schlingensiefs ikonografischer Gerümpelhalde herum (von Warhols Campbell-Dose bis zur Voodoo-Malerei), borgt sich bei Marthaler einen Hausmeister, bei Neuenfels und Konwitschny die Idee der Meister als Wasserkopfträger und Alptraum-Staffage von Bach bis Wagner, von Dürer bis Kleist. Und das T-Shirt des geläuterten, sich zum finalen Bürgerschreck aufschwingenden Beckmesser erinnert an Jossi Wieler und Sergio Morabitos Stuttgarter Siegfried. „Sieg Fried“ fand sich da auf die Sängerbrust gekrakelt, hier heißt es, müde augenzwinkernd, „Beck in Town“. Nur Eigenes bietet Katharina Wagner leider kaum.

Und überhaupt: Wann zuletzt hat einen ein solches Künstlerbild hinter dem Wagner-Ofen hervorgelockt? Der Progressivling als Rotzlöffel im Schmuddel-Shirt, der Bewahrer als Schlipsträger. Die ganze Avantgarde als Seifenblase respektive als eine Gummipuppe namens Eva, die es während Beckmessers Preislied im Potenzgerangel zwischen dem Mann als Schöpfergott und dem Mann als Adam sprichwörtlich in der Luft zerreißt; und die gesicherte Tradition als schäbige Schlagershow, mit Rokoko-Kitschkulisse und einem gleichsam mutierten Stolzing, der sich zu „Morgenlich leuchtend“ in Positur wirft wie Florian Silbereisen. Franz Florian Voigt kennt in seinem weißen, planen, fast leeren Tenor zwar nur einen Ton, eine Farbe, schlägt sich aber wacker und übertönt als Einziger neben Nobert Ernsts kernigem, hoch kultiviertem David und Michael Volles fabelhaft idiomatischem Beckmesser mühelos das Orchester.

Szenisch ist das alles arg simpel gestrickt – und viel zu viel zu viel. Ein Sammelsurium, das trotz etlicher witziger Details auf Dauer blind und müde macht. Ein unlustiges Dickicht, in dem es Turnschuhe regnet, um den Beginn eines neuen, freieren Zeitalters einzuläuten. Auch Sebastian Weigle am Pult des Festspielorchesters übrigens kann die Frage nicht beantworten, ob Katharinas Kopfstand, der „Merker“ Sixtus Beckmesser sei in Wahrheit der bessere Stolzing, musikalisch haltbar ist. Mit ruppigem Besen fegt er aus dem Vorspiel jedes Pathos weg und jeden Triumph meisterlicher Selbstironie. Einen wundersam knospenden Flieder-Monolog aber dirigiert er, einiges schöne Lyrische auch und rhythmisch fein Ausgehörtes. Ansonsten ist vieles unterm Deckel einfach noch zu laut.

Ob Katharina die nächste Festspielchefin wird? Sagen wir so: Sie hat ihr Terrain mal abgesteckt. Kann ja nicht schaden.

Christine Lemke-Matwey

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