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Christopher Lehmpfuhl

© Mike Wolff

Palast der Republik: Abriss in Öl

Der Berliner Maler Christopher Lehmpfuhl hält den Rückbau des Palasts der Republik auf Leinwand fest. Am 30. November stellt er seine Werke in seinem Atelier in Berlin-Friedrichshain vor.

Der Palast blutet. Rote Streifen ziehen sich quer durch den grau-braunen Beton. Wie Wundmale sehen sie aus. Wundmale in Öl, die im fahlen Morgenlicht glänzen, als Christopher Lehmpfuhl sein jüngstes Werk aus dem Transporter hievt und die wenigen Stufen zu seinem Friedrichshainer Atelier hinaufträgt. Das großformatige Ölgemälde – 1 Meter 80 hoch, 2 Meter 40 breit, 30 Kilo schwer – ist das Ergebnis eines weiteren Besuchs an jenem Ort, der es dem Maler so sehr angetan hat, dass er seit Jahresbeginn unermüdlich immer wieder dahin zurückkehrt, um bloß nichts zu verpassen. „Es ist ein Kampf gegen die Zeit“, sagt Lehm pfuhl. „Eine einmalige Gelegenheit.“

Wer in den letzten Wochen öfter an dem Areal zwischen Dom und Außenministerium vorbeischaute, um den schrittweisen Abriss des Palasts der Republik mitzuerleben, der dürfte auch Christopher Lehmpfuhl bei der Arbeit gesehen haben. An etlichen Ecken rund um den verschwindenden Koloss hat der Maler schon seine Leinwände aufgestellt, hat eimerweise Schminke-Ölfarbe mit der Hand verrührt und sie dann mit den Fingern Schicht um Schicht aufgetragen, während vor ihm die Bagger die letzten Palastreste Schicht um Schicht abtrugen.

So wie ein paar Tage vor dem Besuch im Atelier. „Schauen Sie sich diese Durchblicke an“, sagt Lehm pfuhl. Er steht auf dem Gehweg vor dem Bundesaußenministerium, fixiert mit den Augen die wie Felssäulen in den Himmel ragenden Treppentürme des Palasts und fügt mit der Hand nach und nach die Gebäude hinzu, die man dank des verschwindenden Palasts von hier aus jetzt zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder unverstellt sieht: den Dom, den Fernsehturm, das Rote Rathaus, die Hotel- und Bürogebäude an der Liebknechtstraße. Die Palastruine gibt diesen Bauten einen ganz neuen, fragilen Rahmen. „Dieses Stadium ist für mich Kunst“, sagt Lehmpfuhl. Die aufwühlende Stimmung von Abbruch und Aufbruch und unausgefüllter Leere, die diesen Raum seit Monaten füllt und die sich wegen der fast pausenlos arbeitenden Bagger ständig ändert, haben es dem 36-Jährigen angetan. „Das ist für mich der spannendste Ort Berlins“, sagt er und taucht die mit Latexhandschuhen geschützten Hände wieder in die Ölfarbe.

Lehmpfuhl ist einer der großen Stadtansichtenmaler Berlins, seine pastosen, dynamischen Werke hängen in etlichen wichtigen Sammlungen, sie finden für fünfstellige Summen Käufer bis hin nach Korea. Derzeit ist er in zehn Ausstellungen quer durch Deutschland vertreten. Bislang waren Lehmpfuhls Motive eher klassisch, zeigten auch in zeitgenössischen Berliner Stadtansichten vor allem historische Gebäude wie die Alte Nationalgalerie oder das Bode-Museum. Seitdem Lehmpfuhl den Palastabriss als sein Thema entdeckt hat, sei „ein Knoten geplatzt“, sagt der Künstler beim Gespräch in seinem Atelier. Früher habe er sich kaum an moderne Gebäude herangetraut.

Hinter ihm lehnen Dutzende großformatiger Bilder an den Atelierwänden, an mit Ölfarben überdeckten Stühlen, an Säulen. Zwei Gemälde aus dem Februar zeigen den Blick aus Richtung Zeughaus, als die äußere Struktur des Baus noch intakt war. Dahinter ein Werk mit Blick auf die Würstchenbude vor der Ruine aus dem Sommer. Man sieht gelbe Bagger, kahle Bäume, Passanten. Und immer wieder den Dom zwischen den Palast-Stelen, dessen Farben denen der verschwindenden Treppentürme merkwürdig ähneln, als handele es sich bei dem christlichen Bauwerk und dem einstigen DDR-Vozeigebau um zwei Teile eines zusammengehörenden Gebäudekomplexes.

Lehmpfuhls Bilder wirken plastisch und fast dreidimensional, nicht nur wegen der geschickt gewählten Perspektiven und Farbkontraste, sondern vor allem wegen der Maltechnik: Er arbeitet sich auf der Leinwand „von hinten nach vorne“ durch, wie er sagt, trägt erst den Himmel und andere Hintergründe auf, bewegt sich dann mit teilweise zentimeterdicken Ölaufträgen zum Betrachter hin. Wieso es gerade der Palast ist, der ihn so bewegt, den gebürtigen Zehlendorfer, der die Hochschule der Künste absolviert hat und jetzt mit Frau und Kind in Charlottenburg lebt? Es ist eine ästhetische Faszination, sagt Lehmpfuhl. Der Bau hat ihm nie so viel bedeutet wie manchem Bewohner der DDR. Bis auf Stippvisiten bei Ost-Berlin-Besuchen hat Lehm pfuhl keinen persönlichen Bezug zum Palast der Vorwendezeit.

Es sind die neuen Perspektiven, die ihn faszinieren, die neue Farbigkeit, die an dieser prominenten Stelle Berlins zu sehen ist. „Diese Betontöne sind doch wunderschön“, sagt Lehmpfuhl und zeigt auf das warme Grau-Braun, mit dem er die Treppentürme des Palasts festgehalten hat. „Da ergeben sich ganz neue Blicke auf Berlin“, schwärmt er. Und setzt nach: „Ich hätte nicht gedacht, dass mich das mal so bewegt.“ So ist wohl auch der Eindruck der blutenden Betontürme auf Lehmpfuhls bislang letztem Bild zu erklären. Die klaffenden Wunden nämlich, die der Künstler mit kräftigen Rottönen gemalt hat, sind in Wirklichkeit die letzten Reste der rostbraunen Stahlträger, die den Beton zusammenhalten. Bis Ende November sollen auch sie verschwunden sein. Danach will Christopher Lehm pfuhl sein letztes Bild vom Rückbau des Palasts malen: Es wird die Leere an diesem Platz zeigen.

Lehmpfuhls Palast-Gemälde haben fast ausnahmslos bereits Käufer gefunden. Vier Bilder aus der Serie zum Abriss des Palasts der Republik erscheinen Ende November als Leporello, als aufklappbare Stadtansicht von einem Meter Breite – zu beziehen für 10 Euro bei Christopher Lehmpfuhl. Kontakt über www.clehmpfuhl.de oder unter Telefon 32 60 84 67. Außerdem lädt der Künstler am 30. November zum Atelierfest ein, auf dem er auch seinen Palast-Zyklus zeigt: Frankfurter Allee 53, Hinterhaus, 11 bis 22 Uhr.

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