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Jakobshagen

© Berlinale

Panorama: Der geilste Sex meines Lebens

Neue Filme von den Veteranen Peter Kern, Lothar Lambert und Rosa von Praunheim.

Die heterosexuellen Vertreter des Neuen Deutschen Films hatten mit Familie nicht viel am Hut. Wim Wenders und Werner Herzog huldigten dem Einzelgänger, in dessen Biografie Frauen, Kinder und Eltern keine Rolle spielen. Es waren schwule Regisseure, die sich von der Idee der Familie geradezu besessen zeigten. Rainer Werner Fassbinder und Lothar Lambert umgaben sich mit Laiendarstellern, die nirgendwo anders ein Engagement bekommen hätten. Das führte zu Abhängigkeitsverhältnissen, wie es sie zwischen Eltern und Kindern gibt, gefolgt von mehr oder weniger erfolgreichen Abnabelungsversuchen. Rosa von Praunheim hing an der Utopie einer Megafamilie, der schwulen Community, die er in den USA realisiert sah.

Von den dreien entspricht Lambert am ehesten dem Idealbild des gütigen Vaters, der sich um seine Kinder kümmert. Ihm wurde nie vorgeworfen, manipulativ zu sein wie Fassbinder oder sich ungefragt zum Sprecher einer Szene zu stilisieren wie Praunheim. Allerdings handelte er sich den Vorwurf ein, er habe seine Darsteller, vor allem die Darstellerinnen, der Lächerlichkeit preisgegeben.

Es erscheint wie ein Akt der Wiedergutmachung, wenn Lambert jetzt ein paar Protagonistinnen seiner alten Filme zu Worte kommen lässt, ohne ihnen eine Rolle aufzuzwingen. Der Titel Alle meine Stehaufmädchen – Von Frauen, die sich was trauen klingt gönnerhaft, doch Lambert hält sich angenehm zurück. Obwohl er ab und zu im Bild erscheint, geht es überhaupt nicht um ihn, und man erfährt nicht einmal, wie die Frauen zu seinem Team gestoßen sind. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Rolle der Frau zwischen Zweitem Weltkrieg und sexueller Revolution. Um unterdrückte Frauen, die sich Freiräume gesucht, ihre Familien verlassen und neue gegründet haben. Man entdeckt keine verlorene, aber eine vergessene Generation.

Rosa von Praunheims Dokumentation „Überleben in New York“ (1988) zeigt deutsche Frauen, die sich in den USA ein neues Leben aufgebaut haben. Wie geht es ihnen heute? Sehr gut, erfahren wir in New York Memories. Das ist schön für sie, hat aber nichts mit Praunheims eingestreuten persönlichen Erinnerungen zu tun. Für ihn war New York „die schwulste Stadt der Welt. Hier hatte ich den geilsten Sex mit Bodybuildern und Andy-Warhol-Superstars.“ Diese Kultur sei infolge der Null-Toleranz-Politik des Bürgermeisters Giuliani verschwunden, klagt er. Die Gestalttherapeutin Anna sieht eher die Vorteile dieser Politik. Sie ist von einem Einbrecher vergewaltigt worden, auch ihr Mann hat einen Mordversuch überlebt. Wer will es ihnen verdenken, dass sie den Rückgang der Kriminalität begrüßen? Strukturell ist „New York Memories“ ein Desaster. Die Stadt selbst wirkt nur teuer und ungemütlich für alle, die kein Geld haben.

Ungemütlich ist kein Wort für das Wien, das Peter Kern in Blutsfreundschaft zeigt. Kern, ehemaliges Mitglied der Fassbinder-Familie, ist vor allem als Darsteller bekannt. Seine Regiearbeiten kranken an Dilettantismus – und profitieren zugleich davon. Sie sind von einer selten gewordenen Naivität. „Blutsfreundschaft“ will von der unmöglichen Liebe eines 80-jährigen Nazigegners (Helmut Berger) zu einem jugendlichen Neonazi (Harry Lampl) erzählen, vom Hin- und Hergerissensein zwischen Vernunft und Trieb, von der Wahl zwischen guter Multikulti-und-Transen-Familie und böser Fascho-Familie (Heribert Sasse als Führer).

Schmerzvoll realistische Gewaltszenen wechseln sich ab mit platter Kolportage, gipfelnd in schwarzweißen Nazi-Folter-Rückblenden. Gespielt wird hervorragend, auch wenn Helmut Berger keinen Versuch unternimmt, älter auszusehen, und Harry Lampl zu selbstbewusst auftritt, um als dummes Jungchen zu überzeugen. Spannend bleibt der Film bis zuletzt, weil man nicht so recht weiß, wie ernst das alles gemeint ist. Solche Filme sind selten geworden auf der Berlinale.

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