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Kultur: Panzer knacken

René Polleschs Performance „Der General“ in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

Das ist doch mal eine Ansage: Zu Beginn von René Polleschs neuer Produktion „Der General“ in der Volksbühne fährt – kommentarlos – ein Panzer an die Rampe. Und während sich das hölzerne Kampfgefährt in aller Ruhe der Feinjustierung seines Kanonenrohrs hingibt, stellt sich der für seine masochistischen Neigungen ja durchaus bekannte Berliner Theatergänger auf einen großen Abend ein. Zumal Chefausstatter Bert Neumann den Bühnenhintergrund mit symbolträchtigen Ankündigungsbannern großer Volksbühnenabende – vom „Idioten“ bis zu „Schuld und Sühne“, von „Forever Young“ bis zu „Don’t look back“ – beflaggt hat und wir uns dank eines Adorno-Zitats im Programmheft bereits im Vorfeld auf die wesentlichen Topoi des Abends eingrooven konnten. Es geht, natürlich, um die ganz großen Themen: Tod und Utopie (sowie ihre Verknüpfung).

Und wie sich das eben so verhält mit den Visionen: Sie bleiben gern unerfüllt. Der utopische Gegenentwurf zum Status quo ist bekanntlich derart harte Arbeit, dass wir ihn in der Regel noch nicht mal wirklich denken können. Und dieses Dilemma thematisiert „Der General“ eben nicht nur, sondern das performt er in gnadenloser Konsequenz durch: Über weite Strecken des mit 95 Minuten für Pollesch-Verhältnisse fast schon marathonverdächtigen Abends steht Lilith Stangenberg im silber glitzernden Harlekinskostüm wechselweise auf oder neben dem Panzer. Und dialogisiert sich mit ihrer Kollegin Silvia Rieger in betont enervierender Aktionsarmut durch ein strapaziöses Textkonglomerat. Den – wiewohl die Vokabel hier zugegebenermaßen etwas irreführend ist – Unterhaltungsrahmen bildet diesmal Howard Hawks Screwball-Comedy „Leoparden küsst man nicht“ von 1938. Katherine Hepburn und Cary Grant kommen sich dort mithilfe eines Raubtiers namens Baby näher.

Polleschs Theorie-Input hingegen scheint diesmal vor allem von Michel Foucaults „Ordnung der Dinge“ inspiriert zu sein, einer Untersuchung über die unbewussten Grundannahmen wissenschaftlicher Klassifizierungssysteme, in der die Kluft zwischen Wörtern und Dingen einen breiten Raum einnimmt. Die Kalauer-Gelegenheit, den Panzer wechselweise als Lover, Baby oder Postkutsche anzusprechen, packen Rieger und Stangenberg selbstredend beim Schopf. Weit öfter noch muss sich das Bühnenungetüm allerdings als Rampensau beschimpfen lassen, denn Pollesch wäre nicht Pollesch, wenn sich das Theater nicht auch im „General“ selbst thematisierte. „Der leere Raum“, raunen Stangenberg und Rieger wiederholt den Titel von Peter Brooks Schauspielbibel ironiegeschwängert in Richtung Parkett, während der Panzer von der Bühne rollt und die Volksbühnen-Banner zu Boden sinken.

Entsprechende performative Konsequenz legen die beiden Schauspielerinnen denn auch an den Tag, wenn es darum geht, die zentrale These aus dem „Leeren Raum“ nachhaltig in Zweifel zu ziehen. „Ich kann jeden leeren Raum nehmen und ihn eine nackte Bühne nennen“, heißt es bei Brook. „Ein Mann geht durch den Raum, während ihm ein anderer zusieht; das ist alles, was zur Theaterhandlung notwendig ist.“ In Polleschs „General“ – in dem ja, wie gesagt, vornehmlich eine Frau der anderen beim mehr oder weniger raumdurchquerenden Textsprechen zusieht – ist die entsprechende „Theaterhandlung“ zumindest keine übertrieben unterhaltsame: Wiewohl Stangenberg mit einem sperrig-komödiantischen und Rieger mit einem eher grantigen, mithin ebenfalls nicht uninteressanten Charme aufwartet, gewinnt der Pollesch-Sound keine erhellend-markante Färbung wie etwa zuletzt bei Fabian Hinrichs, sondern wirkt in der Tat utopiefrei ermüdend.

Mit einer Ausnahme: Irgendwann entsteigen die drei wirklich noch sehr jungen schauspielerischen Nachwuchskräfte Judith Gailer, Johannes Gäde und Luis Krawen der Panzerluke, fahren auf „Baby“ ganz nah an die Rampe heran und sprechen mit so unverbrauchtem und gleichzeitig naivitätsfreiem Charme über Liebe, Tod und die anderen letzten (Pollesch-) Dinge, dass einem zumindest in puncto utopischer Bühnenpotenziale nicht wirklich angst sein muss. Christine Wahl

Wieder heute, Samstag, sowie am 29. 5.

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