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Welche Rolle spielte Papst Franziskus in der argentinischen Militärdiktatur?

© dpa

Papst Franziskus und die Junta: Frieden braucht Wahrheit

Welche Rolle spielte Jorge Mario Bergoglio während Argentiniens Militärdiktatur wirklich? Schweigt die katholische Kirche weiter dazu, vertut sie eine historische Chance: Sie muss generell ihr Verhältnis zu Diktaturen und zu Tätern und Opfern klären.

So einfach lassen sich Vorwürfe nicht aus der Welt schaffen. Nicht, wenn sie berechtigt sind, und erst recht nicht, wenn sie einen Papst betreffen, der sich Franziskus nennt und für eine neue Bescheidenheit und Wahrhaftigkeit eintritt. Die Fragen nach seiner Rolle während der Militärdiktatur in Argentinien verstummen nicht. Da kann Vatikansprecher Federico Lombardi eine „Kampagne antiklerikaler linker Elemente“ vermuten und der Befreiungstheologe Leonardo Boff und der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel den Papst in Schutz nehmen – nach wie vor ist offen, ob Jorge Mario Bergoglio als Jesuitenprovinzial in Argentinien mit den Mächtigen kungelte, ob er zwei Jesuitenpatres als Terroristen denunzierte, wie viel er über die Entführung von Säuglingen wusste.

Als sich das Militär 1976 in Argentinien an die Macht putschte, lebten die Jesuitenpatres Franz Jalics und sein Mitbruder Orlando Yorio in einem Elendsviertel am Rande von Buenos Aires. Sie seien unpolitisch gewesen, schrieb Jalics 1994 in seinem Buch „Kontemplative Exerzitien“, sie wollten den Armen helfen. Jorge Mario Bergoglio als Jesuitenprovinzial Argentiniens war ihr Vorgesetzter. Er riet ihnen, den Slum zu verlassen, weil sie sich in den Augen der Militärs verdächtig machen würden, Sympathisanten der Guerillas zu sein.

Als sie sich weigerten und somit gegen das strenge Gehorsamsgelübde verstießen, wurden sie aus dem Orden ausgeschlossen. Bergoglio riet ihnen, sich unter den Schutz eines Bischofs zu stellen. Doch wo sie auch vorsprachen, erzählte jetzt Orlando Yorios Bruder der „Zeit“, erklärte man ihnen, sie hätten schlechte Referenzen. Bergoglio habe nicht gut über sie gesprochen. Die beiden wurden von der Junta entführt, gefoltert und fünf Monate lang im Gefängnis eingesperrt.

„Es ist inzwischen eine bewiesene Tatsache, dass wir damals unschuldigerweise als Terroristen denunziert worden waren. Wir wussten, dass eine gewisse Person dieses Gerücht verbreitet und mit ihrer Autorität die Verleumdung in breiten Kreisen glaubwürdig gemacht hatte“, schrieb Jalics über Bergoglio in seinem Buch. Weiter heißt es: „Nach späteren Zeugenaussagen zu urteilen, bezeugte diese Person gegenüber den Offizieren, die uns verschleppten, dass wir in der Terrorszene gearbeitet hätten. Kurz zuvor hatte ich noch dem besagten Mann gegenüber geäußert, er spiele mit unseren Leben. Ihm musste bewusst gewesen sein, dass er uns mit dieser Aussage in den sicheren Tod schickte.“

Sein kontemplatives Leben half Jalics, mit der Sache abzuschließen – „unabhängig von einer objektiven Klarstellung der damaligen Geschehnisse“, schreibt er in seinem Buch. Die Dokumente habe er verbrannt. Vor einer Woche ließ er die Welt wissen, er sei mit Papst Franziskus „versöhnt“. Vor zwei Tagen erklärte er, Orlando Yorio und er seien „nicht von Pater Bergoglio angezeigt“ worden. Ihre Gefangennahme sei nicht auf seine Initiative hin geschehen. Allerdings seien sie zuvor tatsächlich fälschlicherweise als Guerrillakämpfer denunziert worden. Die Widersprüche bleiben.

Die Angehörigen der Junta-Opfer haben ein Recht auf Aufklärung

Bergoglio hat sich den Namen Franziskus gegeben, um zu signalisieren, dass er an der Seite der Armen, der Ausgegrenzten, der Opfer steht. Dazu zählen auch Überlebende wie Jalics und alle, deren Angehörige von der Junta ermordet wurden. Sie haben ein Recht darauf, dass die Vorwürfe aufgeklärt werden. Und dass der Papst, der vorgibt, auf ihrer Seite zu stehen, schonungslos dazu beiträgt. „Es gibt keinen wahren Frieden ohne Wahrheit“, sagte Papst Franziskus am Freitag bei einer Ansprache vor dem diplomatischen Korps in Rom. Wenn er es ernst meint mit dieser Wahrheit, muss er auch über die eigenen Verstrickungen und Verblendungen sprechen. Bleibt es bei der Aussage von Vatikansprecher Lombardi, Franziskus habe ein „reines Gewissen“, wirft das kein gutes Licht auf die Glaubwürdigkeit des neuen Papstes.

Der denunzierte Jesuitenpater Franz Jalics.
Der denunzierte Jesuitenpater Franz Jalics.

© AFP

Bleibt es beim Schweigen, vergibt die katholische Kirche eine historische Chance, generell ihr Verhältnis zu Diktaturen, zu Tätern und Opfern zu klären. Die katholische Kirche, die weltweit aktiv ist, hat eben auch weltweit mit Diktaturen zu tun. Zum Beispiel in China. Auch dort muss die Kirche ihre Rolle immer wieder neu überdenken und beantworten, wie viel Nähe und wie viel Distanz zum politischen Kader den katholischen Chinesen nützt – und was sie gefährdet. Wann verrät man Standpunkte, wann Freunde? Wann wird man schuldig, mitschuldig, wann zum Kollaborateur? Das ist das große Thema der katholischen Kirche – auch weil es die Fragen sind, die sich aus dem Missbrauchsskandal ableiten. Wie konnte solche Verbrechen geschehen und keiner merkte etwas? Wer hätte etwas wissen können, wenn er genau hingeschaut hätten? Wie wird man zum Mitwisser? Diese Fragen müssen auf den Tisch – weil sie uns alle betreffen, ob Christ oder Atheist. Jeder sieht und hört, wie anderen Unrecht geschieht, wie andere gedemütigt werden, und doch nimmt man es bisweilen nicht wahr, weil man es nicht sehen will oder nicht sehen kann, weil man zu bequem ist, zu gestresst ist oder es nicht für möglich hält, dass so etwas vorkommt.

Auch Ideologien machen blind. Die Befreiungstheologie wurde in den 70er und 80er Jahren zur Ideologie. Der vom Marxismus beeinflusste Ansatz trat dafür ein, dass die Kirche nicht nur für die Armen beten, sondern ihnen ganz konkret zu einem besseren Leben verhelfen soll. Für Papst Johannes Paul II. waren die Befreiungstheologen allesamt umstürzlerische Kommunisten. Befreiungstheologen wie Leonardo Boff sahen in Johannes Paul II. und Papst Benedikt Vertreter eines machtbesessenen, am Schicksal der Armen desinteressierten Klerus.

Schützte Bergoglio die beiden jungen Jesuiten vielleicht auch deshalb nicht deutlicher, weil er ihren befreiungstheologisch inspirierten Weg sowieso für falsch hielt? Und unterstellten Jalics und Yorio ihm das Schlimmste, weil sie ihn sowieso auf der anderen Seite vermuteten? Inwieweit trugen die ideologischen Verblendungen dazu bei, dass Leben gefährdet wurden? Es wäre an der Zeit, eine Debatte auch über die Befreiungstheologie zu führen und zu fragen, wie sie für die heutige Zeit fruchtbar gemacht werden könnte.

Beten alleine hilft eben nicht weiter. Weder bei der Klärung von Schuld, noch bei der Suche nach zukunftsweisenden theologischen Ansätze. Möglich, dass den Kardinälen im Konklave nicht bewusst war, welche Geister sie mit der Wahl von Bergoglio riefen. Jetzt müssen sie den Mut haben, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

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