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Kultur: "Parasiten": Dafür muss man einen heute schon halb tot fahren

Die Schaubühne lässt nichts aus, bei ihrem Projekt, das Elend der Welt theatralisch zu bebildern. In der letzten Spielzeit waren zuerst Drogen, Alkoholismus, Obdachlose dran ("Personenkreis 3.

Die Schaubühne lässt nichts aus, bei ihrem Projekt, das Elend der Welt theatralisch zu bebildern. In der letzten Spielzeit waren zuerst Drogen, Alkoholismus, Obdachlose dran ("Personenkreis 3.1"), es folgten Depressionen und Suizidgefahr ("Gier"). Während man zu Beginn dieser Spielzeit die Depravationen in der bürgerlichen Kleinfamilie besichtigen durfte ("Die Namen"), widmet sich Thomas Ostermeier in seiner jüngsten Inszenierung "Parasiten" einem gewohnt wirkungsbewussten Crossover der menschlichen Katastrophen. Alles was der Ostermeier-gestählte Schaubühnenbesucher von einem sozialkritischen Theaterabend erwarten darf, wird pflichtbewusst abgehakt. Soziale und mentale Verelendung, kaputte Liebesbeziehungen, mehrere Selbstmordversuche, eine unglückliche Schwangerschaft und auch ein Körperbehinderter werden aufgeboten, um zu beweisen, dass diese Gesellschaft kein besonders gemütlicher Ort ist.

"Wir wollen einen geglückten Tag"

So wird das Stück des Schaubühnen-Dramaturgen und Hausautoren Marius von Mayenburg zu einer neuen Strophe in einem alten Lied, das Thomas Ostermeier seit vielen Jahren sehr kunstvoll singt, ein Lied, das vom Leiden der Menschen aneinander handelt und davon, dass die aus allen Funktionszusammenhängen Ausgeschlossenen, die Kranken und Asozialen, die Dysfunktionalen und Verstörten in der Konkurrenzgesellschaft nichts zu lachen haben. Diese These ist so richtig wie banal, ihre theatralische Bebilderung kommt ohne virtuos gesetzte Schockmomente und eine Ästhetik des Hässlichen nicht aus. So wird der Theaterabend zwangsläufig zu einer Variante des Elendstourismus, dessen traditionelle Formen darin bestanden, in exotischen Ländern Slums zu fotografieren, um den Lieben daheim zu beweisen, was für schreckliche, aber aufregende Dinge man gesehen hat.

Das Personal wie die Bühne von "Parasiten" kommen einem irgendwie bekannt vor. Man hat dieses gammlige Sofa in der undefinierbaren Farbe schon öfter gesehen, die volle Mülltüte auf dem Boden, die herumliegenden Klamotten. Das muss aus irgendeiner anderen Ostermeier-Inszenierung übrig geblieben sein. Auch den Leuten in diesem Ambiente begegnet man nicht zum ersten Mal, nicht nur, weil sich einige von Ostermeiers sehr guten Schauspielern dem Zuschauer inzwischen ins Gedächtnis eingebrannt haben. Auch die Figuren, die sie spielen, kommen einem wie alte Bekannte vor: Der hagere Macho mit löchrigem T-Shirt und fettigen Haaren, die ihn als bühnenwirksamen Sozialverlierer ausweisen (Tilo Werner, ein toller Schauspieler), seine verstörte Freundin (Karin Pfammatter), die sich in der ersten Viertelstunde in einem Verzweiflungsanfall den Kopf blutig schlägt, während er gelangweilt in einem Comic blättert, es sind bekannte Gesichter, die gemischte Gefühle auslösen. Ihr Verfall, die trostlose Brutalität ist schlimm, einerseits.

Andererseits fühlt man sich als Zuschauer sofort wohl, das vertraute Schaubühnen-Elend ist immer wieder hübsch anzuschauen. Neben diesem tristen Paar tritt ein Krüppel im Rollstuhl auf (Mark Waschke), der von seiner am Rand der Hysterie taumelnden, nervös lächelnden Freundin (Cristin König) umsorgt wird. "Wir sind guter Dinge und wollen einen geglückten Tag", wiederholt sie des öfteren. So wie sie es sagt, ist klar, dass es kein besonders glücklicher Tag werden wird, auch wenn sie ihrem Freund Bier mitgebracht hat. "Nichts soll zwischen uns stehen", sagt sie, "nicht einmal Bier". Das muss Liebe sein, Verzweiflung oder ungeschützte Opferbereitschaft. Mit ähnlich verzweifelter Liebe wird sie später ihre Schwester, die Selbstmordkandidatin, die ihren miesen Freund verlassen hat, umsorgen.

Karin Pfammatter gelingt eine unsentimentale, schroffe Darstellung dieser depressiven, an sich selbst erstickenden Figur, die auf die Frage, weshalb es ihr so schlecht gehe, nur hasserfüllt ausstoßen kann "Weil sie vergessen hat, wie das ist, wenn es ihr gut geht." Als sei sie sich selbst schon ganz fremd geworden, als könne sie sich selbst nur als einen sinnlosen Schmerz wahrnehmen, spricht sie von sich in der dritten Person. Zu dieser Ansammlung aus Unglück und Verstörung kommt der Autofahrer, der den jungen Mann zum Krüppel gefahren hat, ein alter Mann (Werner Rehm), der immer wieder auftaucht und den Gefangenen des Rollstuhls um Verzeihung bittet, ein zuerst freundlicher, hilfloser Rentner, der später immer mehr zum sabbernden, penetranten Rechthaber wird. Es ist eine gerade in ihrer Freundlichkeit extrem abstoßende Figur, ein Mensch, der zum komischen Räsonieren neigt: "Man muss heute schon einen Menschen halb tot fahren, wenn man ihn kennen lernen will."

Sehnsucht nach etwas Botho Strauß

Sowohl die Figurenzeichnung als auch die Entwicklung der Situationen ist, wie fast immer bei Ostermeier, kraftvoll und scharf gezeichnet: Hochpräzisionstheater. Das Problem ist nur, dass die Inszenierung fast nie über eindimensionalen Realismus hinauskommt, dass die Figuren zu wenig mehr taugen als zum Beleg ihres Unglücks. So bleibt alles vorhersehbar trostlos, beschränkt auf die jeweils ausgefeilt und perfekt ausgespielte Situation. Der einzige Schauspieler, der diesen planen Abbildrealismus durchbricht, ist Werner Rehm, der die Sätze seines unangenehmen Alten manchmal so schwebend und irrlichternd leicht spricht, als seien sie aus einer der Komödien von Botho Strauß. In diesen Momenten hat man den Elendsrealismus des Ostermeier-Theaters plötzlich sehr satt und sehnt sich nach leichteren, komplizierteren Spielen.

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