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Kultur: Parlamentswahl in Italien: "Denken Sie jetzt nicht an Mussolini!" - Der Turiner Politologe Rusconi über die Wahlnacht, den Gewinner und die Zukunft seines Landes

Gian Enrico Rusconi ist Professor für Politologie an der Universität Turin. Zurzeit unterrichtet er an der Freien Universität in Berlin-Dahlem.

Gian Enrico Rusconi ist Professor für Politologie an der Universität Turin. Zurzeit unterrichtet er an der Freien Universität in Berlin-Dahlem.

Herr Rusconi, wie lange mussten Sie am Sonntag im Wahllokal Schlange stehen?

Ich hatte Glück, es dauerte nur eine halbe Stunde. In meinem Wahlraum war kaum jemand, nebenan aber herrschte ein unglaublicher Andrang. Und da hat mich die Geduld der Wähler beeindruckt. Da standen alte Menschen klaglos Schlange. So etwas habe ich noch nie erlebt. Paradoxerweise hatte ich von diesem Wahltag einen sehr positiven Eindruck - wenigstens in diesem Sinne.

Offenbar haben auch ausgesprochen komplizierte Stimmzettel zu diesem Status geführt.

Der Ablauf dieser Wahl ist auch eine Pleite der Mitte-Links-Regierung und des bisherigen Parlaments. Ja, wir müssen unsere Wahlen unbedingt vereinfachen. Ich persönlich wäre für ein klares Mehrheitswahlrecht.

Berlusconis Sieg steht nun fest. Der reichste Mann Italiens, der die Hälfte des Fernsehmarkts kontrolliert, regiert nun. Müssen wir uns vor dieser Machtkonzentration fürchten?

Nein. Ich glaube - und hoffe - dass jetzt der gemäßigte, der quasi-christdemokratische Berlusconi zum Vorschein kommen wird. Als Ministerpräsident wird er zu Kompromissen gezwungen sein. König Berlusconi, das war ein Produkt der Werbung, das hat sich nach der Wahl erledigt.

Die Mitte-Rechts-Regierung wird nicht nur in der Kammer, sondern auch im Senat die Mehrheit haben. Ist die Zeit rascher Regierungswechsel in Italien vorbei?

Nicht unbedingt, denn tatsächlich haben wir jetzt die Rückkehr der Ersten Republik (der Nachkriegsrepublik bis zur Aufdeckung der Korruptionsskandale Anfang der neunziger Jahre, Anm. d. Red.). An die Stelle der früher staatstragenden Christdemokratie ist nun endgültig Berlusconis Forza Italia getreten und sie könnte deren Problem erben: zwar eine komfortable Mehrheit zu haben, aber die vielen Strömungen nicht zusammenhalten zu können. Wirklich neu, ja revolutionär ist die Entscheidung für den starken Mann an der Spitze. Die Democrazia cristiana hatte keinen Führer, sie hatte viele. Die Wahl am Sonntag war eine Art Volksabstimmung für leadership, für Berlusconi.

...gegen den das Mitte-Links-Bündnis mit Rutelli nichts ausrichten konnte?

Mitte-Links hat keine solche Führungspersönlichkeit und exakt deswegen verloren. Rutelli hat sich gut geschlagen, aber er war politisch noch zu wenig profiliert.

Woher kommt die italienische Sehnsucht nach dem starken Mann?

Denken Sie jetzt nicht an Mussolini! Diese Zuspitzung auf eine Person ist nicht spezifisch italienisch, es gibt sie auch anderswo. Auch in Deutschland stellen die Parteien starke Persönlichkeiten in den Vordergrund. Das ist Folge unserer Mediengesellschaft.

Es gibt noch ein Ergebnis: Die Lega Nord, die den Norden vom Süden "befreien" wollte, ist geschwächt. Ist der Sezessionismus am Ende?

Im Gegenteil, die Niederlage könnte die Lega sogar radikalisieren. Denkbar wäre, dass sie außerhalb des Parlaments extremistischer auftritt. Und der Chef der Lega, Umberto Bossi, hat im Parlament genügend Abgeordnete, um Schwierigkeiten zu machen.

Herr Rusconi[wie lange mussten Sie am Sonntag im]

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