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Kultur: Parmesan & Partisan

Jüdische Kulturtage I: „Jud Sauer“ am Gorki Theater Berlin

„Ich bin ein Jude“, sagt der alte, aber noch kräftige, keineswegs gebrechliche Mann. „Hat nicht ein Jude Augen? Hat nicht ein Jude Hände, Sinne, Neigungen, Leidenschaften?“ Der Mann sagt dies, an einen kleinen Kreis gleichaltriger Zuhörer gewandt, mit wachsendem Nachdruck. „Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?“ Der Mann ist in seinem Pathos immer lauter geworden, bis er plötzlich, den Tonfall wechselnd, aus der Rolle aussteigt: „Es ist peinlich", stellt er nüchtern fest. Und wie mit Shakespeares Shylock, so ergeht es ihm auch mit den anderen Rollen berühmter Juden, die sich, von Nathan bis Jud Süß, gegen den Rest der Welt zu behaupten haben.

„Ich bin ein auslaufendes Modell. Ignatz Sauer – der ewige, ewig nörgelnde Jude.“ Das kleine Schauspiel „Jud Sauer“ von Adriana Altaras, unter der Regie der Autorin uraufgeführt im Studio des Berliner Maxim-Gorki-Theaters, versteht sich als ein Stück jüdischer Selbstreflexion in der deutschen Gesellschaft von heute. Es spielt in Berlin in einem Altersheim, dessen Insassen dem Holocaust entkommen sind, sei es im Ausland, sei es im Untergrund, und die das Heimweh zurückgezogen hat „in die Reichshauptstadt: ihnen kein judenfreies Leben zu gönnen".

Die Sprache bitterer Ironie spricht unter den vier, fünf Menschen, die da das Glück und Unglück des Alters teilen, jener Ignatz Sauer – eine Figur, mit der die Autorin, eigenem Bekunden zufolge, ihrem kürzlich verstorbenen Vater huldigt und mit ihm zugleich den großen Unbequemen des deutschen Nachkriegsjudentums wie Ignatz Bubis und Heinz Galinski. Auch auf ein literarisches Vorbild für ihr Unternehmen hat sie verwiesen, nämlich Alan Islers Roman „Der Prinz der West End Avenue", der, angesiedelt in einem New Yorker jüdischen Altersheim, von dem aberwitzig-ehrgeizigen Versuch einer „Hamlet"-Aufführung der greisen Amateure erzählt.

Nun hat Adriana Altaras, 1960 in Zagreb geboren, seit langem in Berlin zu Hause, sich zwar als Schauspielerin in der freien Szene, in Film und Fernsehen einen Namen gemacht, als Schriftstellerin aber ist sie immer noch eine Anfängerin.

Ihr Stück „Jud Sauer“ gewinnt, was den Verlauf einer Handlung betrifft, keine klare Kontur. Soll auch hier, im Altersheim, Theater im Theater gespielt werden? Der Anfang, jenes Shylock-Zitat, lässt darauf schließen, mit dem Fortgang indes tritt dieses Motiv zurück zu Gunsten einer Aneinanderreihung von Impressionen aus dem Alltag im Altersheim – stets vor dem dunklen Hintergrund der lebendig überstandenen Geschichte, sarkastisch kommentiert: „Wir leiben eiwik!"

Man plaudert und streitet, man tanzt und singt miteinander, ein bunter Abend, an dem die gedämpften Farben überwiegen: Regisseurin Altaras und ihre Ausstatterinnen Isolde Wittke (Bühne) und Helena Barcikowski (Kostüme) haben gute Arbeit geleistet. Der Dramaturg Rüdiger Bering allerdings hat versäumt, der Autorin die Reminiszenzen an ihre kroatische Herkunft auszureden – diese Passagen errichten eine Sprachbarriere, an der die meisten Theaterbesucher scheitern dürften. Im Übrigen stellt sich die Frage, wie die zeitgeschichtliche Voraussetzung zu erklären sei: Ist das möglich gewesen, dass ein Berliner Jude zu Kriegszeiten auf den Balkan verschlagen worden ist, um sich dort den einheimischen Partisanen im Kampf gegen Hitlers Wehrmacht zuzugesellen? „Also, was ist das für eine Geschichte“, räsoniert Ignatz Sauer selbst. „Parmesan, Partisan, alles wird zerrieben.“

Hilmar Baumann, das dichte schwarze Haar von Silberfäden durchwirkt, gibt dem Ignatz Sauer physisch die kraftvolle Statur, psychisch die Melange aus Energie und Frustration; er hat die natürliche Autorität der Zentralfigur, um die seine Generationsgefährtinnen und -gefährten als Trabanten kreisen: Heide Simon und Monika Hetterle, Tim Hoffmann und Dietmar Obst mit je eigenem Profil. Und die Musik spielt dazu: Robert Nassmacher am Piano begleitet die junge Sopranistin Sanja Peric. Am Ende schickt er dem Helden den Ohrwurm aus dem Musical „Anatevka“ hinterher: „If I where a rich man“ – Jud Sauer ist abgetreten, wohl in den Tod.

Wieder am 23. und 24. November, am 7., 8., 16. und 27. Dezember.

Günther Grack

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