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Kultur: Parmesan und Partisan

Philosoph des Kabaretts, Chronist der Linken: Matthias Beltz’ Gesammelte Schriften

Wer keine Theaterstücke schreiben kann und nicht das Zeug zum Leitartikler hat – meinte einst Wolfgang Neuss – sollte beide Begabungsmängel miteinander verbinden und Kabarettautor werden. Matthias Beltz hat sich diese helle Erkenntnis seines Kollegen zu eigen gemacht und war neben Neuss wohl der politischste Kabarettist der alten Bundesrepublik.

„,Gut’ und ,Böse’“ heißt der Doppelband, den der Verlag Zweitausendeins samt MP3-CD aus den gesammelten Hinterlassenschaften des Kabarettisten nun postum herausgebracht hat. In der Zusammenstellung von Kabarett-Programmen, Zeitschriftenartikeln, einem Theaterstück und Kalauern aus drei Jahrzehnten ist dabei auf fast tausend Seiten auch eine Revue über die westdeutsche Linke seit 1968 entstanden – unter besonderer Berücksichtigung der Szene in Frankfurt am Main. Denn Beltz hat neben seiner kabarettistischen auch eine politische Geschichte. Der Rollenwechsel vom Revolutionär ins komische Fach in den späten Siebzigern erlaubt ihm dabei eine Freiheit des Ketzertums, der radikalen (Selbst-) Kritik und Ironie, die die Linken dieser Generation in Deutschland ansonsten vermissen lassen.

„1968 war ja ein interessantes Jahr“, schreibt er 1994, „ich erinnere mich genau, das war im Februar ’68, da war ich vorher mit der Gaby zusammen, und dann hatten wir uns getrennt, irgendwie wollte die nicht mehr, die hatte, glaube ich, einen anderen Freund, und da bin ich auf die Straße gegangen und eben, na ja. So kam es damals zu Demonstrationen, auch teilweise zu Gewalt, weil man sauer war wegen der Gaby, und hat Scheiben eingeschmissen. Die Amerikaner haben das nicht verstanden, die kannten die Gaby auch nicht. Diese Zusammenhänge waren damals weltweit. Es muß überall eine Gaby gegeben haben, sonst kann man die vielen Demonstrationen nicht erklären.“

Beltz gehörte damals zum informellen inneren Führungszirkel, der die Frankfurter Spontiszene durch alle Irrungen und Wirrungen der letzten 30 Jahre führte, von der APO über den „Revolutionären Kampf“ agitierender Schichtarbeiter bei Opel und die „Putztruppen“ im Frankfurter Häuserkampf bis hin zur Regierungsbeteiligung der Grünen. Zu jenem Führungszirkel zählten damals auch Dany Cohn-Bendit (heute Fraktionschef der Grünen im Europaparlament), Joschka Fischer (heute Außenminister) und Thomas Schmid (heute Politikchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung). Und der „Kleinbürger aus Gießen“ (Beltz über Beltz) „wollte immer bloß dazugehören... Nur wozu ich gehören will, das weiß ich bis heute nicht.“

Seine Texte, die meist mit den Jahresangaben ihrer Entstehung versehen sind, bieten tiefen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt, aber auch in den Humor einer Linken, die lange schon Geschichte ist – obwohl viele ihrer Protagonisten heute an der Macht sind. So ist dieser Doppelband des 2002 mit kaum 57 Jahren verstorbenen Kabarettisten auch ein Nachruf auf eine untergegangene Zeit. Stark sind Beltz’ Texte da, wo sie die Zeit vor dem Mauerfall behandeln. Mit der Wiedervereinigung und dem darauf folgenden historischen Bruch tut der Hesse sich schwer. Gleichwohl rührt sein öffentlicher Ruhm vorwiegend aus der Übergangszeit nach dem Mauerfall: Vielleicht konnte die Idylle der Bundesrepublik samt ihrer Linken erst belacht werden, nachdem ihre Zeit vorbei war.

1998 – Rotgrün gewinnt die Bundestagswahl – schreibt Beltz über sich selbst: „Lieber Hofnarr sein draußen, wenn der Palast schon brennt, denn als Schloßherr mit dran glauben zu müssen. Ja der Hofnarr ist im Hof, der Fürst mit seinen Füßen im Feuer. Das ist bitter.“ Zu gut weiß der bekennende Carl-Schmitt-Fan, dass solche kabarettistischen Bilder ein schnelles Verfallsdatum haben.

Andere Vierzeiler noch aus westlinken Szenezeiten sind länger haltbar: „Ein stiller Mensch ist der Berliner./Er haßt Randale wie der Wiener./Doch heißer noch als Shirley Bassey/tobt durch Berlin der wilde Wessi.“ Das schrieb Beltz 1983. Westberlin war gerade heimliche Hauptstadt der Hausbesetzer und Kreuzberg so etwas wie die offene Jugendpsychiatrie von Baden-Württemberg.

Oft ist gefragt worden, warum es den Achtundsechzigern so schwer fällt, der eigenen Geschichte literarisch und vor allem analytisch zuleibe zu rücken. Die Auseinandersetzung mit der Vätergeneration und deren Verstrickung in den Nationalsozialismus – das Verdienst dieser Generation – half ihr nicht, die eigene Verstrickung in Gewalt, Revolutionismus, Straßenkampf und Terrorismus aufzudecken. Sie wird zumeist verschämt beschwiegen oder, schlimmer noch, ordensgleich vage angedeutet.

Matthias Beltz ist kein Andeuter und auch kein Verschweiger: „Ich war ein Spontiverbrecher.“ Er hat für sich einen Weg gefunden, die Diskrepanz zwischen Wollen und irrem Sein zum Thema zu machen. Die Rolle des Kabarettisten mag ihm dabei geholfen haben. Dennoch schreibt er zum Tod von Wolfgang Neuss: „Es gibt keine Narren.“

Wie ein roter Faden zieht sich die Auseinandersetzung mit der Gewalt durch die „Gesammelten Untertreibungen“. Wer sich etwa an die Debatte vor drei Jahren erinnert, als Joschka Fischers „militant“ genannte Frankfurter Vergangenheit die Leitartikler beschäftigte und die Filmsequenz mit einem auf Polizisten einprügelnden heutigen Außenminister durch die Nachrichtensendungen geisterten, findet im Theaterstück „Frankfurter Verlobung“ Gravierenderes als Streetfighter-Szenen. Beltz greift darin ein Ereignis auf, das damals in Frankfurt zur überfälligen selbstkritischen Reflexion über den Gewalttrip geführt hatte. Ein Molotowcocktail hatte bei einer Straßenschlacht einen Polizisten in seinem Auto getroffen, der dort fast verbrannte.

Beltz kannte die Heroen der RAF persönlich, Andreas Baader, Ulrike Meinhof und viele der anderen. Gleichwohl hatte er mehr Verstand und vielleicht auch Glück, ihnen nicht in bewaffneten Kampf und Terrorismus gefolgt zu sein. 1976 schreibt er: „Die alte Legitimation unseres militanten Widerstandes, wir hätten die Gewalt nicht erfunden, sondern nur vorgefunden, hat sich als das herausgestellt, was sie auch für ihren Urheber, Merleau-Ponty, war: Entschuldigung des Terrors innerhalb der Linken selbst.“ Es hat nochmal fast zehn Jahre gedauert, bis die Gewaltdebatte 1985 in seinen wohl berühmtesten Kalauer über die Linke mündete: „Parmesan und Partisan,/ wo sind sie geblieben?/Partisan und Parmesan,/ alles wird zerrieben.“

Die Bücher des politischen Kabarettisten zeigen: Wolfgang Neuss hatte vielleicht doch nicht Recht. Ein guter Kabarettist kann auch ein Theaterstück schreiben. Und so mancher Aufsatz von Beltz enthält Kommentare über die Linke, die Moral, die Gewalt, Gott und Sozialismus, Freund und Feind – Gut und Böse eben. Das reicht für mehr als einen Leitartikel.

Matthias Beltz: „Gut“ und „Böse“. Gesammelte Untertreibungen in zwei Bänden. Hg. von Volker Kühn. Zweitausendeins. 975 S. mit MP3-CD, 44,80 €.

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