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Kultur: Party mit DJ Wolfgang

Familienfest: Was die Enkelin bei den Omas erlebt

Die Feier sollte im Café Rosenthal stattfinden. Rosenthal – schon bei der Ortsangabe hätte man misstrauisch werden können, wenn ich das nicht ohnehin schon beim Anblick der kunstvoll gestickten „70“ auf dem Cover der Einladungskarte geworden wäre. Rosenthal, allein das Wort weckt Vorstellungen von gehäkelten Topflappen und Teekannenüberziehern, von korallroten Fingernägeln, türkisen Strickjacken – und gestickten Einladungskarten. Wie geschaffen für ein Fest also, für ein Familienfest.

Ähnliche Gedanken gingen mir im Kopf herum, als ich die Einfahrt hinauffuhr, vorbei an großen, kunstvoll beschnittenen Büschen, von Gartenzwergen flankiert, hin zu dem beschriebenen Café. Tatsächlich handelte es sich dabei eher um eine schmuddelige Kneipe, die nur aus einem Raum und einem kleinen Vorraum bestand. Beim Betreten musste man sich erst einmal durch einen Haufen von alten Skatspielern kämpfen, die im Vorraum zusammengepfercht saßen, rauchten und einem „Tach“ entgegenbrüllten, wobei eine Unmenge von Zigarettenasche durch die Luft flog.

Dann hatte ich es geschafft. Besonders früh war ich nicht da, das Fest war also schon in vollem Gange. „Ach seht mal“, schallte es mir auch gleich entgegen. „Dein Enkelkind ist da! Hach, ist die aber süß!“ Wie ein Schwarm Piranhas stürzte sich ein Mob von Omas auf mich, um mich von allen Seiten zu bestaunen. „Ja, du bist aber groß geworden“, war noch das Netteste, was ich zu hören bekam. Außerdem von sämtlichen Seiten: „Erinnerst du dich noch an mich?“

Immer nicken, einfach lächeln und dann die Ellbogen einsetzen. Als ich es geschafft hatte, mich in die Mitte des Raumes vorzukämpfen, konnte ich mir einen Überblick über das gesamte Ausmaß verschaffen: Der Raum war nicht nur voller Omis, sondern auch kunstvoll dekoriert. Selbstgehäkelten Topflappen gefährlich ähnliche Gebilde hingen an den Fenstern und verdeckten die Sicht auf die weißen Plastiktische der Veranda.

„Und nachher wird getanzt“, verkündete meine Oma. „Äh, zu welcher Musik denn, Oma?“, fragte ich, das Schlimmste befürchtend. „Na, wir haben doch hier einen DJ. DJ Wolfgang!“ Sie zeigte ans andere Ende des Raumes. Und tatsächlich, da stand er, DJ Wolfgang. Er hatte sich extra für diesen Anlass einen besonders schönen blauen Westernanzug angezogen und einen dazu passenden Hut auf das auch schon ergraute Haar gedrückt. „Hach, das wird ein Spaß“, sagte meine Oma und rauschte ab.

Und DJ Wolfgang legte los. „Mädchen, oh Mädchen von Barbados“, sang er zur Einstimmung zur voll aufgedrehten Konsole laut mit. Es folgten altbekannte Hits wie: „Mädchen mit dem blonden Haar“, „Marie, mein Herz“ und „Schön ist die Jugendzeit“. Ich bekam langsam Kopfschmerzen, es begann mit einer leichten Nervosität und artete nach einer Wiederholung von „Mädchen mit dem blonden Haar“ zu einem dumpfen, aber beißenden Schmerz hinter meinen Schläfen aus.

Den Omis unterdes gefiel es fabelhaft. Die, die mit Krücken unterwegs oder gar blind gewesen waren, hatten dies vergessen, wirbelten zu der Musik ihrer Jugend im Kreis und verlangten nach jedem Lied eine Wiederholung. Fast wie bei den Teletubbies, nur waren es hier keine hüpfenden flauschigbauschigen Dinger, die einen Grashügel hinabkullerten, sondern eine Horde wuselnder Omas – und statt der lachenden Kindersonne ein nun laut mitsingender DJ Wolfgang.

Mittlerweile hatte ich das dringende Gefühl bekommen, ein Kernreaktor befinde sich in meinem Schädel. „Ich muss jetzt leider gehen“, sagte ich, nicht besonders laut, wie ich fand, aber anscheinend laut genug. Plötzlich herrschte Totenstille. Wie beim Stopptanz standen die Omis da, mitten in der Bewegung erstarrt, wie Eiszapfen, nur dass sie mich alle anstarrten.

„Aber nicht, ohne dass du uns etwas gesungen hast“, erklang es von hinten, und augenblicklich erwachten die Omis aus ihrer Starre. „Genau, sie soll was singen!“, erklang es von allen Seiten.

Diesen Teil des Abends möchte ich Ihnen lieber ersparen – wenigstens gelang es mir für diese zehn Minuten, die Musik einzudämmen und die Omis vom Tanzen abzuhalten. Nach meinem blamablen Auftritt stürmte ich so schnell ich konnte aus dem Raum und in den Vorraum. Die grölenden Skatspieler waren mir mit einem Mal sehr sympathisch geworden.

„Haste schon mal bei ,Deutschland sucht den Superschtar‘ mitgemacht?“, rief mir die Kellnerin noch hinterher, der Rest ging unter in einer erneuten Wiederholung von „Mädchen von Barbados“, das durch die Tür in den Vorraum quoll. „Tschüssikowski“, brüllten die Skatspieler unisono und winkten mir zum Abschied mit ihren Zigarettenstummeln zu, dann hatte ich die Tür erreicht.

Gekürzte Fassung. Die vollständige Fassung und weitere Geschichten sind unter www.tagesspiegel.de/erzaehlwettbewerb nachzulesen.

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