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Kultur: Partyzauber

Die Philharmoniker bringen Jugendliche zum Tanzen

Aprilwetter im Juni – die so unvorhersehbar durchwachsenen Tage der offiziellen Sommeranfangs-Woche passen zumindest zum Auftritt der Berliner Philharmoniker in der Arena Treptow: Es geht nämlich diesmal um „Die Launen der Natur“, eingefangen vom französischen Barockkomponisten Jean-Philippe Rameau in seiner ungemein farbigen, oft so tonmalerisch angelegten Bühnenmusik. Für die achte Auflage der wegweisenden Education-Tanzprojekte des Orchesters hat Simon Rattle den Dirigentenstab an Emmanuelle Haïm weitergereicht. Dass auch die Choreografie in den Händen einer Frau liegt, denen von Vivienne Newport, ist natürlich ein Zufall. Und doch hübsch symbolisch zum Start der Frauenfußball-WM.

Rameau hat die beiden Künstlerinnen zusammengeführt, 1999 bei den Salzburger Festspielen, als sie zu Rattles Team bei der legendären Inszenierung von „Les Boréades“ gehörten. Nun verlebendigt die Französin die Partituren ihres Landsmannes aus dem 18. Jahrhundert im einstigen Busdepot – und zwar so vehement, dass die Musik zu Beginn tatsächlich bewegter wirkt als die Tanzschritte der 150 Kinder. Die Profis von den Philharmonikern sind sofort da, klanglich intensiv, hoch konzentriert vom ersten Takt an. Die Sechst-, Acht- und Elftklässler aus Lichterfelde, Pankow, Steglitz und Mitte brauchen dagegen ein wenig länger, um anzukommen in Rameaus Universum.

Es ist eine Zauberwelt, in der unablässig exotische Reiche, antike Heldensagen und märchenhafte Sujets beschworen werden, es sind prototypische Opern des Rokoko, überbordend in jeder Hinsicht, zu denen ganz selbstverständlich auch Balletteinlagen gehören. Vivienne Newport allerdings zeigt keine barocken Roben, sondern lässt die Kids in Partyoutfits von heute agieren. Ebenso wie sie jede Nacherzählung der alten Handlungen meidet. Lediglich ein paar Umhänge aus silbern oder golden glänzendem Stoff tauchen als Blickfang auf in den Nachtsequenzen, zu denen zwei seitlich positionierte Schülergruppen auf Blockflöten und Perkussionsinstrumenten atmosphärisch suggestive, geräuschhafte Improvisationen beisteuern.

Vivienne Newport geht es um Überzeitliches, um Grundfragen des sozialen Miteinanders, um den Menschen als launenhaftes Naturwesen. Da wird viel gelaufen, vor allem im Kollektiv, da wogen unzählige Arme im Sturm der Emotionen, da finden sich Cliquen und zersplittern wieder. Das wirkt weniger kunstvoll als bei früheren Projekten, weniger ambitioniert auch. Sie findet es wichtig, gibt die Choreografin offen zu, die Pubertierenden auf der Bühne gut aussehen zu lassen, gerade die Jungs, damit sie sich nicht genieren bei dieser ungeübten Begegnung mit der eigenen Körperlichkeit. Peinlich muss hier in der Tat keinem etwas sein, im effektvollen Licht der Scheinwerfer, das ausschließlich von der Seite kommt, wirken diese Exerzitien zur Gruppendynamik sogar richtig cool. Riesenjubel. Frederik Hanssen

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