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Passionsspiel: Der verwandelte Jesus

Weltlich, nicht geistlich: Christian Stückls Passionsspiel in Oberammergau ist eher beiläufig politisch korrekt.

König Ludwig wäre begeistert. Wild zucken die Blitze durchs dunkle Passionstheater, heftig grollt der Theaterdonner. Die Erde bäumt sich auf. Jesus Christus ist tot. Gestorben nicht in einer mutmaßlich heißen Nachmittagsstunde auf Golgatha, wie es die Bibel sagt, sondern um halb elf nachts bei kalten vier Grad im Passionstheater zu Oberammergau. In seiner Qual künstlich beschienen von erbarmungslos weißblauem Licht. Das Ende und die von flackerndem gelben Feuerschein und entzündeten Osterkerzen erhellte Auferstehungszene am Ende des monumentalen Laienspiels sind, so ausgeleuchtet, eindrucksvoller als bei Tageslicht.

Die Neuerung ist ein effektvoller Kunstgriff der Oberammergauer, denen der König, ein Verehrer des alle zehn Jahre aufgeführten Passionsspiels, ihren Kunstsinn einst auf einem pompösen Marmordenkmal bescheinigt hat, das hoch über dem oberbayerischen 5000-Seelen-Dorf thront. Nur, dass der 376 Jahre alten, auf ein Pest-Gelübde zurückgehenden Passion im Laufe der Jahrhunderte jedes religiöse Pathos ausgetrieben wurde, wäre gewöhnungsbedürftig für ihn.

Erstmals gibt es das Passionsspiel nicht tagsüber, sondern von 14.30 bis 23 Uhr, inklusive einer dreistündigen Pause. Spielleiter Christian Stückl hat das mit einem Bürgerentscheid erzwungen. Um Hell und Dunkel dramaturgisch nutzen zu können und um Darstellern, die nach Garmisch oder München pendeln, das Mitspielen am Feierabend zu ermöglichen. Ersteres erweist sich am Premierenabend des 41. Spiels vom Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi als ansehnlich, künstlerisch zwingend ist es jedoch nicht.

Überhaupt geht es nach dem Donnerknall, dem weltweit bejubelten Wunder des von Stückl in Text, Optik, Musik und Anmutung runderneuerten Passionsspiels im Jahr 2000 diesmal eher beiläufig statt überraschend politisch korrekt zu. Jesus, der Rabbi, der Hebräisch sprechende, Pessach feiernde Jude unter Juden, Judas, der zerrissene Charakter, der Jesus nur verrät, weil er seine Revolutionshoffnungen enttäuscht sieht – das gehört jetzt für das ehedem mit Antijudaismen gespickte, christliche Erbauungsstück einfach dazu.

Aber Jesus ist wieder ein anderer geworden. Frederik Mayet, sonst Pressesprecher der Passionsspiele und des von Christian Stückl geleiteten Münchner Volkstheaters, spielt ihn mit verschattetem Blick als zwar entschiedenen Prediger, aber schwer auszulotende Person. Weder ganzer Mensch noch halber Gott, unbegreiflich in seiner Konsequenz, verehrt, aber nicht verstanden von seinen Jüngern. Nur als Zweifelnder am Ölberg, seiner auf ihn wütenden Familie und Maria Magdalena gegenüber wird er nahbar. Die radikale Forderung zum Umdenken, zur Gottes- und Nächstenliebe, separiert den Visionär vom Volk. Die neu in den Text eingefügten Bergpredigt-Passagen aber, die Jesu’ Botschaft klarer umreißen sollen, verursachen ein überdichtes, zu viel erklären wollendes Textgewitter.

Weltlich, nicht geistlich ist Stückls drittes Passionsspiel. Erst der reinste Politkrimi, dann großes Weltspektakel, in dem zynische Machtmenschen wie der Römer Pontius Pilatus und der Hohepriester Kaiphas intrigieren und die Masse nach Belieben manipulieren. Ihren kernigen Wortschlachten steht ein meist schweigender, junger Mann im langen weißen Hemd gegenüber: ein Engel und göttlicher Zeuge des menschlichen Dramas.

Prachtvoll sind die eingefrorenen Szenen aus dem Alten Testament, die zwölf „Lebenden Bilder“, die die Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem bis zur österlichen Auferstehung strukturieren und assoziativ spiegeln. Bühnen- und Kostümbildner Stefan Hageneier hat sie maßlos farbenfroh und streng ikonografisch gestaltet. Wie alle Mitwirkenden ist der Robert-Wilson-Schüler Oberammergauer, er leitet die Ausstattungsabteilung am Bayerischen Staatsschauspiel. Sein klares Bühnenbild und die 2000 Kostüme kontrastieren unzählige Blautöne beim vielhundertköpfigen Volk mit sandfarbenen Jüngergewändern und dem üppig gemusterten Pharisäerornat. Die absurd hohen Hüte des Hohen Rates sind stoffbespanntes Zeichen für borniertes Kastenbewusstsein und haben nebenbei ungemein schicken Schauwert. Wie das ganze Oberammergauer Passionsspiel. Vor der Bühne, wo im überdachten Freilufttheater 5000 Premierengäste winterlich eingemummelt ihre Plätze einnehmen. Und auf der Bühne, wo sich bei den von Stückl genial choreografierten, archaischen Massenszenen an die tausend Mitwirkende auf der Bühne tummeln – samt Pferden, Schafen, Eseln und Kamelen. „Hosianna“ und „Kreuziget ihn“ aus vielen hundert Kehlen, das geht wie die wohltuend unblutige Geißelungs- und Kreuzigungszene durch Mark und Bein.

Bewegend ist die von Markus Zwink erneut überarbeitete, aus dem 19. Jahrhundert stammende Musik. Unbegreiflich, wie sich in diesem Touristendorf, das vom Passionsspiel lebt, ein Sinfonieorchester und 100 Chorsänger und Solisten finden lassen, die solide musizieren. Und dabei bleiben sie und die Schauspieler immer Laien. Spielfreudig, hingebungsvoll, aber eingeschränkt in der Mimik, in der Stimmfarbe und szenisch begrenzt durch die frontale, ins Riesentheater hineindeklamierende Spielweise. Am Ende kommt keiner auf die Bühne, um sich zu verbeugen. Das ist der überraschende, aufrüttelnde Moment, der noch mal zeigt, dass das hier auch Bekenntnis und nicht nur Theater ist. Und außerdem die Sitte.

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