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Kultur: Pastorale und Krieg

Eine Idylle, irgendwo auf dem Land, im Sommer.Die Natur zeigt sich von ihrer lieblichsten Seite, junge Männer stehen am Straßenrand und schäkern mit Frauen.

Eine Idylle, irgendwo auf dem Land, im Sommer.Die Natur zeigt sich von ihrer lieblichsten Seite, junge Männer stehen am Straßenrand und schäkern mit Frauen.Sogar die Schweine laufen frei herum und Kühe trinken selbstvergessen im kühlen Wildbach.Wie sollte in dieser Pastorale der Mensch seiner eigenen Gattung Leid zufügen? Es handelt sich um den Amateurfilm eines deutschen Wehrmachtsoldaten im besetzten Polen.Dennoch wirkt alles wie in einem Pfadfinderlager, mit guten Kameraden eben.Was sagen uns solche Filme über den Zweiten Weltkrieg?

Auf der Jahrestagung der Arbeitsgruppe Cinematographie des Holocaust in Berlin untersuchten Filmexperten Amateurfilme aus der Zeit des Grauens.Dabei erwies sich, daß eben gerade die vermeintliche Idylle neben den Kriegsgreueln existierte.Filmte der Wehrmachtsangehörige Reinhard Wiener mit seiner Privatkamera im Juli 1941 noch Judenerschießungen in Lettland, so nahm er danach im Urlaub trautes Familienglück auf - was authentischer ist, scheint kaum auszumachen.

Warum sich aber mit schlecht gedrehtem Filmmaterial beschäftigen, wo es eine Menge an professionellen Bildern aus dem Dritten Reich gibt? Michael Kuball verarbeitet Amateurbilder zu Dokumentarfilmen über das Dritte Reich.Er gibt zu bedenken, daß offizielles Filmmaterial zensiert ist, somit beschönigt und andere Aspekte, wie die Judenvernichtung, gar nicht zeigt.Außerdem sei das schon häufig zu Dokumentarfilmen verarbeitete Material abgenutzt.Gerade die unfertigen Amateurfilme vermitteln durch ihre technische Unzulänglichkeit den Eindruck von Authentizität.

Und auch der Amateurfilm ist nicht frei von Ideologie.Illustriert wurde dies durch einen Streifen aus dem Bundesfilmarchiv über die Einweisung der Dresdner Juden in das Lager Hellerberg.Der gefilmte Weg der Opfer durch die städtische Entseuchungsstation zeigt Jüdinnen, deren Haare nach Läusen durchsucht werden und Juden, die sich entkleidet vom Amtsarzt untersuchen lassen müssen.Der Blick der Kamera entlarvt die Absicht, den Juden jegliche Würde zu entziehen.Ein anderer Streifen zeigt ein denunziertes deutsch-polnisches Liebespaar, das zur Abschreckung und zur Freude der Bewohner durch Steindorf getrieben wird.Mit Schildern um den Hals und geschorenem Kopf werden die 17jährige Maria und der 18jährige Joseph an den Pranger gestellt.Herzzerreissend die Einsamkeit der beiden Jugendlichen, die nicht einmal einander als Stütze haben, sondern jeder für sich den Mob erleiden.Das Vergnügen der Dorfbewohner, wie der vielen Kinder, am "Volksfest" zeigt einmal mehr, daß das Volk nicht nur verführt war, sondern es genoß, seine niederen Triebe auszuleben.

Dagegen hatten die Veranstalter im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums nun aber klugerweise ein Dokument des Lebens gesetzt, das den Berlinern schon während der Berlinale im Februar vorgestellt wurde: "A letter without words" der Amerikanerin Lisa Lewenz.Sie hat auf dem Dachboden gefundenes Material ihrer Großmutter, die als Jüdin 1938 aus Deutschland fliehen mußte, zu einem beeindruckenden Dokumentarfilm verarbeitet.Während der Tagung wurde umfangreiches Material aus den 20ern bis 50er Jahren vorgestellt, welches Ella Arnold Lewenz als Familientagebuch gedreht hatte.In knappen, fast photographischen Einstellungen, filmte sie das Leben einer großbürgerlichen jüdischen Familie aus Berlin.Was für eine Liebe spricht aus diesen Bildern! Liebe zum mittelalterlichen, gotischen Deutschland in Nürnberg und Bayreuth genausowie wie zur Architektur des Neuen Bauens in Berlin.Anfang der 30er Jahre verengt sich der Blickwinkel auf den engeren Familienkreis, man zieht sich vor den Verwerfungen der Welt ins Wochenendhaus zurück.Der Besuch Mussolinis in Berlin führt zu einer Wende: Zunächst nur flüchtig, dann immer offensichtlicher beginnt Ella Lewenz öffentlich sichtbare Zeichen der totalitären Herrschaft zu dokumentieren.Außergewöhnlich sind die Bilder nicht nur deshalb, weil sich Anfangs niemand für die filmende Jüdin zu interessieren schien, sondern auch, weil Ella Lewenz schon um 1934 den noch sehr seltenen Farbfilm benutzt.Mit der zunehmend restriktiver werdenden Politik der Nazis wird Filmen in der Öffentlichkeit, auch für private Zwecke, immer gefährlicher.Dennoch filmt sie noch 1938 die kilometerlange Menschenschlange vor der Amerikanischen Botschaft, schließlich benötigte sie selber fast ein Jahr, bis sie für sich und ihre Familie endlich das lebensrettende Visum der USA erhielt.Trotz dieses Einbrechens der feindlichen Umwelt in das filmische Familientagebuch der Lewenz sind es dennoch Bilder, die von der Lust am Leben künden.Zu einem der letzten Familienurlaube trifft man sich im Winter 1937 im schweizerischen Chamonix.Auf neutralem Gebiet zeitweise vom Albdruck der Nazis befreit, entstehen noch einmal mit den Kindern und deren Cousins, alle Anfang 20, Bilder von ansteckender Fröhlichkeit und Lebensfreude."Mutti" Lewenz auch bei den rasanten Schlittenfahrten immer mittenmang.Als sie im November 1938 mit dem Schiff nach Amerika übersetzt, hat sie ihre Filmrollen zwischen den Kleider gesteckt.Ihre Erinnerungen wollte sie sich von den Nazis nicht nehmen lassen.

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