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Kultur: Pastrama für alle

„Wonderyears(1): Israels dritteGeneration - eine Berliner Diskussion

„Man soll eine Rede ja immer mit einem Witz beginnen. Gilt das auch für eine Veranstaltung wie diese?“ Wenn ein israelischer Künstler einem deutschen Publikum die Bedeutung der Shoah erklären soll, scheint Humor fehl am Platz. Der 25-jährige Amit Epstein schafft es trotzdem: „Meine Großmutter sagte: Junge, wenn Du vor einem deutschen Publikum über mich sprichst, ist das der größte Witz, den ich mir vorstellen kann.“ Das sitzt, und entsprechend belustigt reagiert das überwiegend deutsche Publikum der englischsprachigen Podiumsdiskussion, die am Sonnabend im Künstlerhaus Bethanien stattfand – begleitend zur Ausstellung „Wonderyears“.

Epstein kann als Vertreter jener dritten Generation von Israelis gelten, für die die Shoah keine persönliche Erinnerung mehr ist, sondern ein kollektiver Mythos. „Der wichtigste Moment meines Lebens ereignete sich vor meiner Geburt“, meint Epstein, und so mancher deutsche Generationsgenosse mag sich da wiedererkennen.

Der israelische Historiker Moshe Zimmermann liefert den kritischen Rahmen zu Epsteins Ausführungen. Er wirft der israelischen Politik eine unreflektierte Instrumentalisierung der Shoah vor, der historischen Bedeutung des Nationalsozialismus trage sie keine Rechnung. Noch schärfer formulierte das Idith Zertal. Die Autorin mehrerer Bücher über die Bedeutung des Holocaust sieht die konservative israelische Lesart der Shoah als Ausgangspunkt einer gefährlichen Kriegsideologie, die Israel mit biblischer Rhetorik zur Antithese von Auschwitz erkläre. „Paradoxerweise heißt heute der Schrein, an dem systematisch junge Israelis geopfert werden, nicht Auschwitz, sondern Israel.“

Die moderne israelische Gesellschaft sei gespalten zwischen post- und neozionistischen Tendenzen, sagt der israelische Soziologe Uri Ram. Dem alten, ethnisch geprägten Kollektivideal des Zionismus stehe eine Entwicklung zur demokratischen Zivilgesellschaft gegenüber, die sich vorrangig in einer starken Hinwendung zu Individualinteressen bemerkbar mache. Dem widerspricht das junge, in London lebende Künstlerpaar „Pil & Galia“. Zwar gebe es unter jungen Israelis ein zunehmendes Engagement für Partikularinteressen wie die Legalisierung von Cannabis, es diene aber letztlich nur der Zementierung des Status Quo, da es im Kern unpolitisch sei. Als einzige wahrhaft postzionistische Alternative propagiert das Paar die Rückkehr junger Israelis nach Europa, und damit die Abkehr von einem Staat, in dem sie sich nicht repräsentiert fühlen.

Der Kunstkritiker Tali Tamir schließlich befasst sich mit dem israelischen Militarismus. Er zeigt dazu einen Werbeclip mit Bildern glücklicher Soldaten und dem Slogan: „Das Volk will Frieden und Einigkeit. Aber vor allem will das Volk Pastrama.“ Ein Brotaufstrich als Heilsversprechen? Uri Ram nimmt es als Beleg seiner These: „Die postzionistische Tendenz Israels spiegelt sich in einer stärkeren Einbindung in die globalen Märkte. Und genau das wollen die Israelis heute: Pastrama.“

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