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Kultur: Patient Ich

Morgen feiert alle Welt den 150. Geburtstag von Sigmund Freud. Heute endet unsere tägliche Lektüre des Pioniers der Psychoanalyse

Mit den Neurotikern schließen wir also den Vertrag: Volle Aufrichtigkeit gegen strenge Diskretion. Das macht den Eindruck, als strebten wir nur die Stellung eines weltlichen Beichtvaters an. Aber der Unterschied ist groß, denn wir wollen von ihm nicht nur hören, was er weiß und vor anderen verbirgt, sondern er soll uns auch erzählen, was er nicht weiß. (...) Er soll uns nicht nur mitteilen, was er absichtlich und gern sagt, was ihm, wie in einer Beichte, Erleichterung bringt, sondern auch alles andere, was ihm seine Selbstbeobachtung liefert, alles, was ihm in den Sinn kommt, auch wenn es ihm unangenehm zu sagen ist, auch wenn es ihm unwichtig oder sogar unsinnig erscheint. Gelingt es ihm, seine Selbstkritik auszuschalten, so liefert er uns eine Fülle von Material, Gedanken, Einfällen, Erinnerungen, die bereits unter dem Einfluß des Unbewußten stehen, oft direkte Abkömmlinge desselben sind, und die uns also in den Stand setzen, das bei ihm verdrängte Unbewußte zu erraten und die Kenntnis seines Ichs von seinem Unbewußten zu bereichern.

Aus: Abriß der Psychoanalyse. Gesammelte Werke in achtzehn Bänden. Band XIII. hg. unter Mitwirkung von Marie Bonaparte von Anna Freud u.a.. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main, 1992.

Auswahl der Zitate: Caroline Fetscher

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