zum Hauptinhalt
Patti Smith

© ddp

Patti Smith: Die Seeräuberin

Sie ist derzeit auf allen Kanälen: Die Rock-Ikone Patti Smith im Filmporträt, in einer Ausstellung – und leibhaftig im Konzert.

Etwas müde kommt Patti Smith mit Regisseur und Freund Steven Sebring zur Pressekonferenz. Sie löffelt erstmal schläfrig einen Joghurt. Immerhin war gestern schon ein anstrengender Tag mit Ausstellungseröffnung und Konzert. Aber dann, erste Frage, sie setzt die Sonnenbrille ab, lächelt und ist voll da. Und erzählt ihre schönen Geschichten, über den Film, ihr Leben, Kunst, Musik und Poesie. Sie macht Fotos mit ihrer großen Polaroidkamera und will gar nicht mehr aufhören. Am Ende hängt Sebring ihr eine Gitarre um und sie singt „My Blakean Year“.

Patti Smith ist hier, um Sebrings ersten abendfüllenden Dokumentarfilm „Patti Smith – Dream Of Life“ zu präsentieren. Elf Jahre lang hat der Mode- und Celebrityfotograf sie mit einer 16-mm-Kamera begleitet. In Schwarzweiß mit ein paar kleinen Farbtupfern portätiert er die Künstlerin und Privatperson zwischen täglicher Inszenierung und Szenen des Alltags, zwischen dunkel melancholischer Introvertiertheit und einem zauberhaft offenen Lächeln. Zwischen zorniger Rebellion gegen die politischen Verhältnisse und stiller Trauer über die Vergänglichkeit und den frühen Tod so vieler Freunde und Verwandter.

Die Sprunghaftigkeit des filmischen Blickes wirkt so chaotisch unaufgeräumt wie ein Blick in Patti Smiths Wohn- und Arbeitszimmer, dieses kreative Wirrwarr, in dem es so unendlich viel zu entdecken gibt an Inspiration und herumliegenden Dingen. Ein Foto von Patti und Bob Dylan, eine altmodische Schreibmaschine, Plattenspieler. Bücher, Gedichte. Blake, Baudelaire, Ginsberg, Burroughs, eigene Gedichte, herumflatternde Skripte. Eine akustische Gitarre, auf der sie Dylans „Hard Rain“ zuppelt, ein unsicherer Versuch. Nur weil Patti Smith schon immer diesen Mut hatte zum Ungelenken, zum Amateurhaften, zum Scheitern, ist sie gerade nicht gescheitert mit ihrer Mischung aus Beat-Poesie und Rock’n’Roll-Rebellion. Dafür wird sie seit über 30 Jahren geliebt von ihren Fans, die Patti Smith in Seberings Film sehr privat erleben können. Rührende Momente mit ihren Eltern und Kindern. In kleinen Szenen mit Freunden wie Sam Shepard beim Gitarrespielen, mit Flea von den Red Hot Chilli Peppers beim fröhlichen Herumalbern, mit ihrer Band beim Warmsingen in der Garderobe und bei Konzerten auf der Bühne, wo noch einmal die ganze Faszination dieser Frau zusammengefasst ist. Das Ekstatische und das Zarte, das Strukturierte und das Improvisierte. Schreien und Flüstern. Tränen in den Augen und Schaum vor dem Mund. Trotziges Spucken, trauerndes Weinen. Und alles echt.

Die leibhaftige Patti Smith, sitzt am Freitagnachmittag lässig mit dunkler Sonnenbrille in der Galerie artMbassy in Mitte. Bei der Ausstellungseröffnung von „Objects of Life“ erklärt sie Gegenstände, die ihr mit den Jahren besonders ans Herz gewachsen sind. Hatte sie noch im Film die realen Objekte gezeigt, kann man sie hier in der kleinen Galerie auf sehr hübsch arrangierten Fotos des Filmregisseurs Steven Sebring noch einmal in Ruhe betrachten: Pattis Polaroid-Kamera von 1963, die sie ständig bei sich trug für schnelle Schnappschüsse, ihre derben Schnürstiefel, die sie ihre „Arbeitsschuhe“ nennt, eine antike persische Urne, in der sie die Asche ihres Freundes Robert Mapplethorpe aufbewahrt, ein Kinderkleidchen, das sie 1949 getragen hatte. Und zwischen den Fotos eines alten Tourneekoffers, der Kopfplatte einer Gibson-Gitarre von 1931, steht auf ein paar Transportkisten, ganz real Pattis „Corona Standard“- Reiseschreibmaschine neben einem Bündel Lieblingsbücher: Blake, Burroughs, Shelley, Ginsberg. Doch wenn Patti Smith den Raum verlässt, bleiben nur noch ein paar hübsche Fotos zurück, denen die Geschichten fehlen.

Die Geschichten kehren zurück, abends in der Passionskirche. Patti Smith lässt sich nicht nehmen zur Premiere von Film und Ausstellung auch noch ein Konzert zu geben. Kein normales Konzert, eher eine intensive Begegnung mit den Fans. Da steht sie ganz alleine im schwarzen Schlotterjackett, Jeans in die Stiefel gestopft und singt unbegleitet: „I’m trampin’, trampin’, try’n-a make heaven my home“. Ernst und schön, doch dann wieder dieses Jung-Mädchen-Lächeln. In einem Tagebuchsong zur Gitarre mit einem Akkord erzählt sie, dass sie Bert Brecht zu dessen Geburtstag auf dem Friedhof besuchen werde. Ganz im Stil ihrer Vorbilder, der „Beats“ Ginsberg und Kerouac, liest sie ihr Gedicht „Ballad of a Bad Boy“ und noch eins für Bob Dylan. Sie erzählt kleine Geschichten, lässt sich jetzt von einem Cellisten begleiten, mit dem sie vorher nur 17 Minuten geprobt habe. Und wieder ist da ihr typischer Do-It- Yourself-Spirit, der dilettantisches Scheitern nie ausschließt, und gerade deshalb besonders charmant ist. Wenn sich Patti auf der Gitarre vertut, wenn sie sich in den Kabeln verheddert, wenn sie um sich herum wieder dieses kreative Chaos verbreitet, dann lacht sie und sagt: „Ach, jetzt sieht es hier schon aus wie bei mir zu Hause!“.

Sie rezitiert den Seeräuber-Jenny-Song aus der „Dreigroschenoper“, singt Hank Williams, Neil Young, Raritäten aus dem eigenen Repertoire, ein paar Lieder von ihrem Album „Trampin’“ (2004) und eine Hommage an den kranken Christoph Schlingensief. Als das Publikum sie nach „People Have The Power“ gar nicht mehr gehen lassen will, singt Patti Smith gemeinsam mit dem vollbesetzten Kirchenauditorium noch eine zauberhafte Version ihres Hits „Because the Night“. „Das war nur ein Experiment heute abend“, sagt die 61-Jährige in den tosenden Beifall, „einfach mal was anderes zu machen.“ Es war mehr als das. Berauschend!

„Patti Smith: Dream Of Life“: Heute 22.30 Uhr (Cinestar 7), 11.2., 20.15 Uhr (Cubix), 17.2., 20.30 Uhr (Cubix); Ausstellung: „Objects of Life“, bis 14.2. in der Galerie artMbassy, Anna-Louisa-Karsch-Str. 7

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false