zum Hauptinhalt

PAUKEN & Trompeten: Der reine Wahnsinn

Jörg Königsdorf freut sich auf kluge Spitzentöne.

Das Ansehen, das Donizettis „Lucia di Lammermoor“ genießt, ist zwiespältig. Zwar hat sich das Stück im Gegensatz zu den allermeisten tragischen Belcanto-Opern seit seiner Uraufführung ohne Unterbrechung auf den Spielplänen gehalten, doch richtig ernst wird die schwarzromantische, Walter Scott entlehnte Geschichte nur selten genommen. Gespielt wird die „Lucia“ vor allem, weil die Wahnsinnsszene der Titelheldin der wirkungsvollste Primadonnen-Showcase ist, den die Oper aufzuweisen hat. Scotto und Callas, Sutherland und Caballé – sie alle haben die Lucia gesungen, und auch heute messen sich die Soprane der Superstarkategorie an dieser Rolle.

An der Met lieferten sich zuletzt Diana Damrau und Anna Netrebko das große Lucia-Duell, ein Jahr zuvor hatte beider schärfste Konkurrentin, die Französin Nathalie Dessay am gleichen Ort in dieser Partie brilliert. Das Lucia in der Schnittmenge von Sängerinnen liegt, die ansonsten ganz unterschiedliche Rollen singen, liegt auch daran, dass der Gestaltungsspielraum hier besonders groß ist. Je nach Stimme kann die Braut von Lammermoor dramatisches Format besitzen oder eine zerbrechliche Kindfrau sein. Netrebko zeichnet mit ihrem kerngesunden lyrischen Sopran ein robustes, tatkräftiges Bild der Heroine, während bei Dessay von Anfang an mehr nervöse Überreizung im Spiel ist.

Der vor kurzem erschienene DVD-Mitschnitt von Netrebkos New Yorker Lucia erinnert mit seiner romantischen Düsternis an die alte Verfilmung von „Wuthering Heights“ mit Lawrence Olivier – eine Andeutung, dass in diesem Stück mehr zu holen ist als eine Handvoll Spitzentöne. An der Deutschen Oper bekommt Lucia wenig szenische Hilfestellung. Die Reste der dreißig Jahre alten Inszenierung von Filippo Sanjust gehören längst ins Opernmuseum. Damit sich das Drama gegen den Kostümplunder durchsetzt, braucht es am Samstag bei der Wiederaufnahme eine starke Sängerpersönlichkeit in der Titelrolle. Die hat sich das Haus mit Diana Damrau geholt. Das Met-Kräftemessen mit Netrebko hat Deutschlands neuer Koloraturstar offenbar gewonnen und auf ihrer neuen Recital-CD „Coloraturas“ (Virgin) liefert sie eine Lektion in subtil psychologisierendem Belcanto, gegen die selbst „Früher war alles besser“-Nörgler wenig einzuwenden haben dürften.

Jörg Königsdorf

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false