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PAUKEN & Trompeten: Freiheit für die Erzlaute

Carsten Niemann wünscht sich mehr Fantasie in der E-Musik.

Wenn Beethoven mit anderen Musikern zusammen eines seiner Klavierquartett interpretierte, dann konnte das Ganze in einer echten Jam-Session enden, bei welcher der Meister so lange improvisierte, bis er böse Blicke von den Mitspielern erntete. Auch sonst fehlte es der Klassik nicht an Raum zur Improvisation: Kadenzen in Arien und Konzerten wurden lange Zeit erst gar nicht aufgeschrieben und wenn mal ein reisender Virtuose in die Stadt kam, dann erwartete das Publikum von ihm, dass er seine schöpferische Potenz in einer freien Fantasie über populäre Themen unter Beweis stellte.

Heute ist Improvisieren unter E-Musikern dagegen ziemlich aus der Mode geraten – und wer es doch tut, wird schnell in die Crossover-Ecke geschoben. Hoffnung für alle, die sich mit inzwischen geradezu zementierter Arbeitsteilung zwischen Komponist und Interpret nicht abfinden möchten, gibt es dennoch – und sie kommt wieder einmal von den zwei äußersten Rändern des Klassikbetriebs – nämlich der Alten und der Neuen Musik. Einmal mehr ist es das Radialsystem, das beide Welten unter einen coolen Hut zu bringen weiß: Am Donnerstag nehmen sich Los Otros – alias Hille Perl (Gambe), Lee Santana (Laute), Steve Player (Laute und Tanz) – im Rahmen ihrer neuen CD-Release-Tour den in den letzten Jahren zu neuen Ehren gekommenen Lautenkomponisten Girolamo Kapsberger (1580–1651) vor. Dessen drittes Buch mit Stücken für Erzlaute war bis vor kurzem verschollen; nun haben sich Los Otros der kurzen, oft bizarr und wie hingeworfen wirkenden Stücke bemächtigt, um sich auf ihrer Basis noch tiefer in die psychedelische Welt des barocken Außenseiters einzuspinnen.

Von hier aus ist es dann auch kein gar so großer Schritt mehr zur Parallelwelt des Schweizer Duos Stimmhorn (31.7.). Und weil die Art und Weise, in der Christian Zehnder und Balthasar Streiff es sich mit Stimme, Wippcordeon, Alp- und Ziegenhorn, Barocktrompete und weiteren undefinierbaren Gerätschaften im Grotesken gemütlich machen, sich weder mit Worten noch mit Noten adäquat festhalten lässt, sollte man es machen wie die Zeitgenossen des improvisierenden Beethoven: Hingehen, bevor es vorbei ist.

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