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PAUKEN & Trompeten: Japan geht den Bach runter

Jörg Königsdorf über die wundersame Leidenschaft eines Professors

Merkwürdig, dass Masaaki Suzuki in Deutschland immer noch ein Geheimtipp ist. Obwohl die Bach-Aufnahmen des weißhäuptigen Kantors aus Kobe seit Jahren hymnische Kritiken und Schallplattenpreise absahnen, greift der Durschnittskäufer im Zweifelsfall eben doch lieber zu vertrauteren Namen wie Harnoncourt und Gardiner, Herreweghe und Rilling. Mag durchaus sein, dass da ein RestMisstrauen gegen Klassik made in Japan mitschwingt: Denn erstens sind die Musiker des Inselreichs eher durch noble Zurückhaltung als durch emotionale Inbrunst bekannt. Aber gewichtiger scheint im Falle von Bachs Kantaten die grundlegende Vertrautheit nicht nur mit barocker Rhetorik, sondern auch mit den protestantischen Glaubensinhalten zu sein. Wie soll ein Japaner die aufbringen?

Der 53-jährige Suzuki, der für seine Verdienste um die Bach-Pflege sogar mit dem Bundesverdienstkreuz dekoriert wurde, ist allerdings ein Sonderfall: Aus einer der wenigen protestantischen Familien Japans stammend, hat er schon als Kind Kirchenlieder auf der Heimorgel gespielt, mit zwölf die Gottesdienste seiner Heimatgemeinde begleitet und somit bachschen Geist quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Er hatte dann als angehender Konzertpianist auch nichts Dringenderes zu tun, als sich in Amsterdam bei Ton Koopman die Glaubenssätze der historischen Aufführungspraxis nahebringen zu lassen. Nachdem er die verinnerlicht hatte, gründete Suzuki 1990 sein Bach-Kollegium Japan und begann vier Jahre später mit seiner Gesamtaufnahme der Kantaten, die inzwischen bei Folge 37 angelangt ist.

Wer unbedingt will, kann aus diesen Aufnahmen natürlich auch noch einen Rest fernöstlichen Harmoniestrebens heraushören. Im Gegensatz zum schroffen Harnoncourt oder zum prachtliebenden Gardiner ist Suzukis Bach-Stil durch feingliedrige Eleganz und einen fabelhaft leichten Chorklang ohne jede Erdenschwere geprägt.

Bach meets Zen: Das Kyrie in seiner gerade erschienenen Aufnahme der h-moll- Messe ist beispielsweise von einer geradezu ätherischen Entspanntheit. Mitunter wünscht man sich in den (beim schwedischen Label BIS erschienenen) Einspielungen allerdings ein paar kräftigere Farben, doch bei Suzukis Auftritt am Mittwoch im Kammermusiksaal dürften das Freiburger Barockorchester und das Collegium vocale Gent für genug diesseitige Akzente sorgen. Das Programm ist natürlich weihnachtlich, statt des allfälligen Weihnachtsoratoriums gibt es allerdings mit Kantaten wie „Christen, ätzet diesen Tag“ einige diskutable Alternativen aus Bachs reichhaltigem Katalog an Festtagsmusiken. Schon 1730 wollte das Publikum der 30000-Einwohner-Stadt Leipzig offenbar auch mal was anderes als immer nur „Jauchzet, frohlocket“ hören.

Jörg Königsdorf

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