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PAUKEN & Trompeten: Nie original, aber originell

Als der Musikwissenschafter Volker Klotz 1991 seinen Operettenführer vorlegte, gab er dem Buch den Untertitel „Handbuch einer unerhörten Kunst“. Das Wortspiel trifft es: Operetten sind im wörtlichen Sinn unerhört.

Als der Musikwissenschafter Volker Klotz 1991 seinen Operettenführer vorlegte, gab er dem Buch den Untertitel „Handbuch einer unerhörten Kunst“. Das Wortspiel trifft es: Operetten sind im wörtlichen Sinn unerhört. Selten hört man sie einmal so, wie sie ursprünglich gedacht waren. Geändert, gekürzt und vereinfacht wurden die Stücke vom ersten Augenblick ihres Bühnenlebens an, gerade die populärsten Operetten fielen am schnellsten ihrem Erfolg zum Opfer. Das mag ein sympathischer Prozess der Anpassung von Kunst ans wirkliche Leben sein, führt aber leider oft zu empfindlichen Qualitätsverlusten: Wer etwa die „Fledermaus“ in einer Aufführung der neuen kritischen Johann-Strauss-Ausgabe hört, traut angesichts der Finesse und Farbigkeit der Orchesterstimmen seinen Ohren nicht. Dass aber Dirigenten für eine Operettenproduktion Quellenforschung betreiben, ist nach wie vor die Ausnahme, auch weil die Suche nach dem Original oft detektivischen Spürsinn erfordert. An der Komischen Oper unterzog sich Kirill Petrenko für Lehárs „Land des Lächelns“ dieser Mühe und fand einen oft erstaunlich dunkeln, wagnernden Tonfall. Eine Lesart, die gut zu Peter Konwitschnys Inszenierung passt, die das chinesische Liebesmärchen tragisch enden lässt. Am Samstag steht die Produktion letztmalig auf dem Spielplan, es dirigiert Markus Poschner, der das sicher genauso gut macht wie sein ehemaliger Chef.

Quasi den Gegenentwurf zur großen vollorchestralen Operette bietet die Neuköllner Oper mit ihren gerade wieder aufgenommenen „Piraten“. Vom Original, den „Pirates of Penzance“ des viktorianischen Erfolgsduos Gilbert & Sullivan, ist hier kaum mehr übrig als die Grundidee der Handlung und eine Handvoll Melodien. Die Piraten sind jetzt Autonome, die Generalstochter Mabel ist eine Zehlendorfer Göre, und statt operettiger Champagnerlaune dominieren schwere Wagenburg-Beats den Sound dieser „BeBerlinette“ (heute u. Do–So).

Das mögen Operettennostalgiker bedauern, alle anderen können in der Produktion von Andreas Gergen einen witzigen, stimmig besetzten Abend erleben, der an die Neuköllner Tradition intelligenten Volkstheaters mit Berlin-Bezug anknüpft. Nicht original, aber originell.

Jörg Königsdorf

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