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PAUKEN & Trompeten: Stück sucht Autor

Jörg Königsdorf hat ein Herz für herrenlose Werke

Klassikhörer sind die Markenfetischisten unter den Musikkonsumenten: In der Regel geben sie ihr Geld nur für Produkte aus, die so eingeführte Labels wie Mozart, Bach und Beethoven tragen, und selbst die B-Sortierung aus Bachs Kantatenserien oder Mozarts Messen hat noch bessere Marktchancen als ein Spitzenerzeugnis, das aus regionalen barocken Kompositionswerkstätten mit Namen wie Stölzel, Graupner oder Krebs stammt. Bei dieser Fixierung auf große Namen ist es kein Wunder, dass Stücke ohne Herkunftsnachweis die Ausschussware des Musikbetriebs sind: Werke, deren Autorenschaft nicht geklärt ist (und sei es nur, weil das Deckblatt der Partitur irgendwann verloren ging), stehen unter dem Generalverdacht der Minderwertigkeit und bekommen so gut wie nie eine Chance, ihre tatsächliche Qualität im Praxistest einer Aufführung zu beweisen.

Umso lobenswerter, dass die Sing-Akademie dieser missachteten Musik jetzt ein ganzes Programm widmet: Unter dem Titel „Anonyma“ stellen die Lautten-Compagney und der Kammerchor der Singakademie unter Wolfgang Katschner heute Abend in der Elisabethkirche in der Invalidenstraße einige Highlights aus der über 200 Partituren umfassenden Sektion herrenloser Werke ihres Archivs vor. Weil aber nichts so zur Spekulation einlädt wie eine leere Autorenzeile, diskutiert eine Expertenrunde um den Radiomoderator Clemens Goldberg zwischen den Aufführungen mögliche Zuschreibungen: Ist diese Flötensonate vielleicht sogar von Vivaldi? Klingt die Ouvertüre nicht ziemlich nach Händel? Und soll man nun diese Triosonate eher Carl Philipp Emanuel oder Johann Christian Bach zuschreiben? Detektivisch veranlagte Hörer können übrigens anhand der vor Ort ausgestellten Partituren auch eigene Hypothesen entwickeln.

Jörg Königsdorf

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