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Der Mann am Klavier: Paul Kuhn in der Fernsehshow "Willkommen im Club", Mitte der achtziger Jahre.

© KEYSTONE

Paul Kuhn ist tot: Eine Terz und eine Seele

Stimmungsschlager, Swing und Schmuggelware: Paul Kuhn schwärmte für Blue notes und musste sein Geld mit Schlagern verdienen. Ein Nachruf auf den Entertainer und Pianisten.

Es ist ein kategorischer Imperativ, die Aufforderung, an einer alten Liebe festzuhalten: „You must remember this.“ So beginnt „As Time Goes By“, die Erkennungsmelodie von Humphrey Bogart und Ingrid Bergman aus dem Film „Casablanca“, wo ihre Liebe über den Hass der Verfolger von der Gestapo triumphiert. Paul Kuhn hat dieses Lied jahrzehntelang gespielt, mit immer sparsamer gesetzten Klavierakkorden und immer brüchiger werdender Stimme. Doch so wie sich sein grummelnder Bass nach zwei Strophen noch einmal ins Falsett erhob und für einen Augenblick wieder klang, als ob er zu einem jungen Mann gehöre, war zu spüren, dass es da auch um eine andere Leidenschaft ging: die Liebe des Pianisten zum Jazz.

„Ich habe mit Jazz angefangen“, hat Kuhn gesagt. „Und deshalb will ich auch ganz gerne mit Jazz alles beenden.“ Dieser Traum sollte in Erfüllung gehen. Sein letztes Album „The L.A. Session“, das natürlich auch eine Version von „As Time Goes By“ enthält, konnte der Musiker in Los Angeles in den legendären Capitol Studios aufnehmen, in denen schon der von ihm bewunderte Frank Sinatra ans Mikrofon getreten war. In der Nacht zum Montag ist Kuhn während eines Kuraufenthaltes in Bad Wildungen gestorben. Er wurde 85 Jahre alt.

Es gehört zur Tragik nicht nur von Paul Kuhn, sondern einer ganzen Musikergeneration mit Kollegen wie Max Greger, Bill Ramsey und James Last, dass sie nach dem Krieg von der Musik, für die ihr Herz schlug, nicht leben konnten. Kuhn schwärmte für die blue notes des amerikanischen Westcoastjazz, eine Musik, die mit Melancholie grundiert ist. Aber Karriere gemacht hat er als Stimmungskanone. Mit Schlagern wie „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ oder „Bier ist die Seele vom Klavier“ und als Sidekick von Moderatoren wie Peter Alexander oder Harald Juhnke, der ihnen zuverlässig die Stichworte für ihre Fernsehsketche gab.

Wer im Westdeutschland der siebziger und achtziger Jahre aufgewachsen ist, sieht den kleinen Mann mit dem Zahnlückenlächeln noch immer vor sich, im Smoking an seinem Flügel hockend oder am Fuße einer Showtreppe bereitstehend. Seiner Bigband gab er den Einsatz für die Begrüßungsfanfare, sobald oben der Star ins Rampenlicht trat. Später hat er auch eigene Sendungen bekommen, die „Spiel mit Vieren“, „Hallo Paulchen“ oder „Pauls Party“ hießen. Berühmt geworden ist er jedoch als Show-Adlatus, der den roten Teppich für die anderen ausrollte. Von der Fernsehnation wurde Kuhn kollektiv als „Paulchen“ vereinnahmt.

Seine Laufbahn hat der Musiker, der 1928 in Wiesbaden geboren wurde, als Wunderkind begonnen. Acht Jahre war er alt, als er zum ersten Mal auf der Bühne stand, bei einer Fernsehprobesendung während der Berliner Funkausstellung 1936. „Ich hatte mein Akkordeon umgeschnallt und spielte ein paar Volkslieder. Die Gage betrug 50 Reichsmark“, erzählte er später. Bald bekam der hochtalentierte Junge Klavierstunden, wechselte auf das Musische Gymnasium in Frankfurt und studierte am Wiesbadener Konservatorium. Der Aufstieg zum Konzertpianisten schien vorgezeichnet, dann aber trat etwas in sein Leben, das alles verändern sollte: der Jazz.

"Mit seiner Vergangenheit muss man leben."

Der Stichwortgeber: Paul Kuhn mit Harald Juhnke bei einer Show in Berlin 1991.
Der Stichwortgeber: Paul Kuhn mit Harald Juhnke bei einer Show in Berlin 1991.

© dpa

Sein vier Jahre älterer Bruder führte Kuhn bei den Wiesbadener „Swingheinis“ ein, die in ihren Wohnungen „heimliche Hot Clubs“ mit alten Jazz-Schellackplatten veranstalteten und 1943 mit Trauerflor durch die Stadt liefen, weil der Pianist Fats Waller gestorben war. In einer Zeit, in der Jazz als „entartet“ galt, war das nicht ganz ungefährlich. Als bei Kriegsende die Amerikaner einmarschierten, wurde, sagte Kuhn, „der Jazz so ’ne Überlebensgeschichte für mich“. Der 17-Jährige spielte in Army-Clubs, entlohnt wurde er mit Zigaretten und Kaffee. „Ich bin einfach zum Hauptquartier marschiert. Die haben gefragt: Was spielst du? Klavier, sagte ich. Dann wurde eine Combo zusammengestellt, man trat auf und wurde von Stadt zu Stadt weitergereicht.“

Irgendwann ergatterte Paul Kuhn eine Festanstellung beim Soldatensender AFN, als einziger deutscher Musiker. Doch die Wirtschaftswunderdeutschen wollten vom Jazz nicht viel wissen, die Verfemung des Genres durch die Nationalsozialisten wirkte nach. Die Plattenfirma EMI-Electrola, die dem Pianisten 1954 einen Vertrag gab, machte ihn zum Schlagerstar. Gleich seine erste Single „Der Mann am Klavier“ wurde ein Hit, fortan trat der Sänger in cineastischen Meisterwerken wie „Liebe, Luft und lauter Lügen“ und „Romanze in Tüll“ auf.

Seine Karriere hätte noch einmal eine ganz andere Wendung nehmen können, als Kuhn in New York Urlaub machte und von einem Veranstalter angesprochen wurde, der ihn verpflichten wollte. „Weil meine Platten gerade anliefen in Deutschland, habe ich abgesagt. Vielleicht war das ein Fehler. Man weiß nicht, was draus geworden wäre.“ Die Anekdote hat der Pianist gerne erzählt. You must remember this. Doch bereut hat er seine Entscheidung nie. „Die Stimmungsschlager, mit denen ich in die Hitparade kam, sind natürlich musikalisch absolute Nullen“, gestand er. „Aber mit seiner Vergangenheit muss man leben. Und ich habe mein Leben lang Unterhaltungsmusik jeder Art gespielt. Manchmal ist es mir gelungen, dabei ein bisschen Jazz einzuschmuggeln.“

Den Höhepunkt seiner TV-Laufbahn erreichte der Entertainer, als er 1968 zum Leiter der SFB-Bigband berufen wurde. Durch die halbe Welt reiste er mit dem Orchester, das zu einem der beliebtesten Berliner Exportschlager aufstieg. Bis dann der Sender sparen wollte und 1980 aus heiterem Himmel die Auflösung des Ensembles verkündete. Anschließend verlor der Bandleader auch noch seinen Plattenvertrag. Der doppelte Rauswurf hinterließ tiefe Wunden.

Wie schafft ein Musiker den Weg heraus aus Depression und Krise? Indem er einfach all’ die Jahre über weiter Musik macht, als Solopianist, mit kleiner Combo und als Leiter einer auf freier Basis arbeitenden Bigband, die unter anderem Peter Alexander bei Tourneen begleitete. Für den Neuanfang ist man nie zu alt. „Blame It On My Youth“ hieß augenzwinkernd das Album, mit dem Paul Kuhn kurz vor seinem 70. Geburtstag ein Comeback als Jazzmusiker gelang. Der Fan von Erroll Garner und Oscar Peterson wurde nun zu Jazzfestivals eingeladen, mit seinen alten Weggefährten Max Greger und Hugo Strasser tingelte er unter dem Titel „Swing Legenden“ durch die Republik. Der Jazz hat ihn gerettet. „Immer, wenn es mir schlecht geht, setze ich mich ans Klavier und spiele ein bisschen“, hat er gesagt. „Ping, ping, pang. Tonleitern, Akkorde, Dur und Moll. Alte Stücke. Dann vergesse ich die Schmerzen.“

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