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Paul Simon im Berliner Tempodrom.

© DAVIDS/Dirk Laessig

Paul Simon live in Berlin: Diamanten im Schuh

Spätes, nachhaltiges Glück, Erinnerungsbrücken: Paul Simon gab im Berliner Tempodrom ein mitreißendes Konzert.

Natürlich wartet man auf die schönen alten Sachen, die Erinnerungsbrücken, die Madeleines im Tee der frühen Jahre, wenn einer wie Paul Simon auf die Bühne kommt. Der Mann ist 75. Er wird an diesem exquisiten Abend im ausverkauften Tempodrom die Segnungen der Pop-Musik ausspielen, auch die Ambivalenzen. Fit wie ein Turnschuh mit Diamanten auf der Sohle, so steht der kleine Mann am Mikrofon: Den Song bringt er nachher natürlich auch, und der Saal singt mit: „She’s got diamonds on the soles of her shoes.“

Der Musiker reicht dem Publikum etwas weiter, das man Glück nennen möchte. Etwas sehr Gutes und Schönes scheint dem New Yorker im achten Jahrzehnt seines Lebens widerfahren zu sein, man hört es auf dem aktuellen Album „Stranger To Stranger“. Es sprüht vor Ironie und Energie und Liebesneugier. Paul Simon zeigt sich als wacher Beobachter und Poet des amerikanischen Alltags.

Werwölfe sind unterwegs, Unruhen breiten sich aus. Es gibt zu viele Menschen, die von der Vermehrung des Reichtums ausgeschlossen sind. Paul Simons Stärke lag immer darin, Symptome zu beschreiben, das falsche Licht der Neongötter, die Autokarawanen auf dem Turnpike, die alle Amerika suchen. Er war nie ein Protestsänger, eher ein Tröster. Auf „Stranger To Stranger“ wird er nun etwas deutlicher. Das bringt auch das Alter mit sich.

  In der neunköpfigen Band spielen Musiker seiner "Graceland"-Platte

Es kommt bei solchen Begegnungen mit Oldies und Helden der Pop-Geschichte selten vor, dass die neuen Songs sich so glänzend ins Repertoire einfügen. Paul Simon arbeitet an seinem Song Book, das reichlich fünfzig Jahre umfasst. Man weiß es ja, aber man glaubt es nicht, wie viele Hits er in seiner Karriere produziert hat. „The Boy In The Bubble“ aus dem Jahr 1987 gibt gleich zu Beginn den Grundton vor. Simon singt von Dürrekatastrophen und Terrorismus, von schrecklichen Dingen irgendwo da draußen in der Welt, aber er gibt die Hoffnung nicht auf in diesen „days of miracle and wonder“.  

In seiner neunköpfigen Band sind afrikanische Musiker, mit denen der damals „Graceland“ aufgenommen hat. Der Sound des Albums hat sich erstaunlich frisch erhalten. Simon und seine fabelhaften Multiinstrumentalisten gehen mal mehr auf die bluesige Seite, zwirbeln ein bisschen Country und Cajun-Klänge, um immer wieder triumphal auf die breite Straße nach „Graceland“ einzubiegen, das bei Paul Simon nicht in Tennessee, sondern in Afrika liegt.

Komplexe Rhythmen und Tanzparty-Glücksgefühle 

Der Auftritt mit Sting im März 2015 in der großen, kalten Halle am Ostbahnhof ist noch gut in Erinnerung. Im Duett haben sie „Cecilia“ gesungen, und Sting übernahm bei „Bridge Over Troubled Water“ den hohen Part von Art Garfunkel. Jetzt ist es noch einmal besser, anders. Das neue Material beflügelt. Die Songzeile „Just a way of dealing with my joy“ bleibt hängen. Es ist der Schlüssel zu den komplexen Rhythmen, den witzigen Arrangements, und daraus entwickelt sich dann auch noch eine Tanzparty. „You can call me Al“ im Tempodrom: Die Tempi und die Wechsel des zweistündigen Sets versprühen – da kann man sich gern wiederholen – Glücksgefühle. Es gibt eine Schrecksekunde, als sie das kitschige „El Condor Pasa“ anstimmen, mit Flöten und Geschrammel, die Hymne der weihnachtlichen Fußgängerzonen. Aber das wird nur ein Intermezzo, ohne Worte. Damit hält sich Simon nicht auf. Es wirkt wie ein leichter Tritt gegen die Simon & Garfunkel-Nostalgie, die unvermeidlich mitschwingt.

 Natürlich spielt Paul Simon auch "The Boxer"

Nichts davon diesmal. Das alte „Homeward Bound“ bringt er im lockeren Trab nach Hause, „Sounds Of Silence“ erklingt als allerletzte Zugabe, Paul Simon macht das allein mit der akustischen Gitarre. Zart, unspektakulär, zurückgenommen. Das Lied weckt so viele Bilder im Kopf, großer Kinosoundtrack. Sechziger Jahre. Dustin Hoffman. „Die Reifeprüfung“. Der „Boxer“ bekommt einen Wunschkonzertauftritt, jetzt alle mitsingen! So viel Popritual muss dann doch sein. Wenn es ein sentimentales Zugeständnis ist, dann unterstreicht es die Besonderheit der Konzertdramaturgie. Breite Bläsereinsätze, Bass- und Schlagwerksoli, klarer Sound: Paul Simon und seine Musiker besitzen eine Professionalität, bei der es einem warm ums Herz wird.       

 Die poetische Klarheit, die melancholische Aura haben nicht gelitten

Pop lebt von Platitüden und Gewohnheiten, darin dem Leben sehr nah. Wie es aussieht, erweist sich Pop als kräftiges Lebenselixier. Man kann damit sehr alt werden, wenn man so neugierig bleibt und abenteuerlustig wie Paul Simon. Er hat den Amazonas befahren und sich lange in Afrika herumgetrieben, und darüber erzählt er im Konzert die eine oder andere Geschichte, auch wenn er sonst eher ein Stiller ist. Für seine Verhältnisse hat er im Tempodrom einen regelrechten Temperamentsausbruch. Er versucht sich an kleinen Tanzeinlagen, seine Hände schwirren in der Luft herum wie aufgeregte kleine Vögel. Wenn sie in die Saiten greifen, tut sich ein Vorhang auf. Fast ein Entertainer.

Das Schönste aber von all den Wundern – die Stimme! Die poetische Klarheit, die melancholische Aura haben nicht gelitten. Der „Graceland“-Swing treibt neue Blüten. Es ist, als hätte jemand den Sound schärfer gedreht. Das tut gut in einer Welt, in der die „bubbles“ geplatzt sind, der ferne Schrecken nicht mehr fern ist.  

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