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Der Haarverwirbler. Pearl-Jam-Sänger Eddie Vedder beglückt seine Fans. Foto: DAVIDS/Sven Darmer

© DAVIDS

Pearl Jam in Berlin: Im Kreise ihrer Lieben

Alles so schön nett hier: Pearl Jam laden zum Familientreffen in die O2-World. Und wollen, weil alles so schön nett ist, kaum wieder aufhören.

Immer ist es die Wuhlheide gewesen. Wind, Wetter, Himmel vor allem. „Fünf Mal Wuhlheide“, sagt Eddie Vedder in wackligem Deutsch. Und jetzt plötzlich steht er hier mit Band in der O2-World am Ostbahnhof, irgendwo draußen scheint die Sonne und Vedder sagt: Es kommt drauf an, was wir draus machen.

Es wird dann eine Art Familienfeier, die Pearl Jam am Mittwochabend veranstalten, mit einer Vorband, die, wie die frisch eingeheiratete Schwägerin, vorsichtig freundlich behandelt wird, unterstützt noch von Vedder selbst, der beim letzten Lied der Punkrocker „X“ mit ans Mikrofon tritt. Bis dann tatsächlich Pearl Jam auf der Bühne stehen, vergeht noch fast eine ganze Stunde. Egal.

Es ist Musik im Kreise ihrer Lieben, die ausverkaufte Arena wundersam gemütlich geschrumpft. Alle sind sie gekommen, die treuen Fans, angereist mit Fahnen aus Polen, aus Italien und England, glücklich strahlend ohnehin und beim Opener „Long Road“ dann besonders. „All the friends and family, all the memories going round“, singt Vedder. Freunde und Familie, Erinnerungen, alles da an diesem Abend. Also: „Why Go“? Krachend der Song, einer der frühesten der Band, vom allerersten Album „Ten“. Haare wirbeln. Stopp, Durchatmen, Ansage Vedder: Es gibt ein Geburtstagskind.

Eine ältere Dame mit weißem Haar betritt die Bühne. Es ist die Mutter von Gitarrist Mike McCready. Das Publikum singt ihr ein Ständchen, vom Sohn gibt es einen Kuss auf die Wange. Mutter ab.

Es ist ein Abend, der nett anfängt und nett bleibt. Eddie Vedder begrüßt einen der jüngsten Konzertbesucher, einen Jungen von vielleicht fünf Jahren und bittet die Fans in den ersten Reihen wiederholt: Passt aufeinander auf, lasst Platz für die anderen. Das ist sicher auch der Tragödie des Festivals von Roskilde geschuldet, als die Band im Sommer 2000 mit ansehen musste, wie Fans in der Menge zerquetscht wurden. Es ist aber eben auch einfach – nett.

Freundlich klingt denn auch die Musik von Pearl Jam. Es ist über die Jahre glatt geschmirgelter Rock. Kein knarziger, verfilzter Grunge, keine Gitarristen, die sich in ausufernden Soli verlieren – nur Mike McCready, der ein, zwei Mal im Spotlight seine Gitarre bearbeiten darf. Der Sound ist glasklar abgemischt: Matt Camerons treibendes Schlagzeug und Jeff Aments drückender Bass pumpen im Magen. Eddie Vedders raue Stimme und die wilden, schneidenden Gitarren von McCready und Stone Gossard krallen sich fest, irgendwo zwischen Ohren und Herz.

Ihren dankbaren Fans serviert die Band Altbekanntes, was nicht schwierig ist, weil es neue Songs schon lange nicht mehr gibt. Das letzte Album „Backspacer“ veröffentlichte Pearl Jam 2009. Glückliches Grölen zu „Given to Fly“, zum rockigen „The Fixer“, seliges Singen bei „Daughter“ und „Corduroy“, das Lied, zu dem einst Eddie Vedders braune Cordjacke die Inspiration lieferte. Die seine, erklärte er in einem Interview, kaufte er damals für zwölf Dollar. Deren Kopien, für Fans eine Art Pearl-Jam-Reliquie, kosteten hunderte Dollar – und wurden gekauft. „Warum kann es nicht bloß Spaß sein“, fragt Vedder in „Corduroy“. Die Zeiten aber, in denen Pearl Jam mit ihrer Berühmtheit haderten und sich gar zurückzogen, sind vorbei.

Die Bekanntheit nutzen sie stattdessen für soziales und politisches Engagement. Dass sich die Standards der Musiker aus Seattle in den 20 Jahren seit Gründung der Band verändert haben, ist nicht nur zu hören. Während ihrer Zeit in Berlin nächtigen sie, das zeigt online ein Video von Fans, im noblen Ritz. Abends auf der Bühne stehen dann aber trotzdem Männer in schlichten T-Shirts und Hosen, die einfach gute Musik machen und nicht mal Wert legen auf ein pompöses Bühnenbild. Das bleibt an diesem Abend ebenfalls schlicht, sieht aus wie eine gigantische Ansammlung von Lautsprecherboxen, wird später ersetzt durch eine Lichtinstallation.

Weil Vedder, wie er sagt, noch kurz vor dem Konzert endlich einmal Zeit hatte, das Ramones-Museum in Mitte zu besuchen, fehlt eine Hommage an die Punkband natürlich nicht. „I Believe in Miracles“ spielen Pearl Jam, bevor sie nach eineinhalb Stunden zum ersten Mal die Bühne verlassen.

Vedder kehrt zurück, ganz allein mit Akustikgitarre für „The End“, was es dann glücklicherweise doch nicht ist. Noch eine Stunde, noch mehr Zeit für Klassiker: „Once“ und „Jeremy“, „Black“ und „Alive“. Kaum einer, der nicht jedes Wort mitsingen kann, die Zuschauerränge rundum – nur ausgestreckte Arme. Freunde, die sich umarmen.

Als schließlich, eine halbe Stunde vor Mitternacht, das Licht angeht, will niemand aufbrechen, die Zuschauer nicht, die Band nicht. Blinzeln, Augen schließen. „Rockin’ in the Free World“, das Neil Young Cover, das sie schon so oft gespielt haben, geben Pearl Jam ihren Fans mit auf den Weg, „Indifference“ – und raus unter den Himmel.

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