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Kultur: Peitschenhiebe gegen den Stolz

Schluss mit der Selbsterfahrung: Im Filmprogramm dominieren politische Themen

Viele kleine Filmemacher an vielen kleinen Orten können durch viele kleine Filme etwas ziemlich Großes zeigen, die Welt. So könnte das Motto des Filmprogramms der Transmediale lauten. Der Kurator des Programms, Thomas Munz, hatte aus mehr als 1000 Einsendungen die ihn aus der ganzen Welt erreichten, etwa 80 Filme auszuwählen. Er hat sie konsumfreundlich in zehn Themenblöcken geordnet, wobei das Spektrum von vierminütigen clipgerechten Animationsfilmen bis zu einstündigen, fast klassischen Dokumentationen reicht.

Doch während in den ersten Jahren nach den Anschlägen vom 11. September noch der Terror und der so genannte Krieg gegen ihn das Interesse der Filmkünstler bannte, ist heute kein Großthema mehr auszumachen. Die Fäden werden in alle Richtungen gesponnen, dennoch gibt es den einen roten, der alle Beiträge durchzieht: Die Filmemacher nehmen politische Haltungen ein, wollen mehr präsentieren als ästhetische Experimente, Oberflächen, Effekte. Ihre Perspektive ist dabei immer eine lokale. Es geht ihnen nicht darum, die Welt zu erklären, sondern Geschichten aus regionalen Perspektiven zu erzählen. „Diese Filmemacher lassen sich die Wirklichkeit nicht stehlen“, bringt es Munz auf eine Formel, „was sie betreiben, ist die subjektive Realitätskonstruktion“.

Der bewegendste Beitrag stammt wohl von der Belgierin Sarah Vanagt und nennt sich „Begin, Began, Begun“. Die 29-Jährige besuchte die so genannte „Republik der Kinder“ in Ruanda. Dort leben, unweit der sich ständig verschiebenden kongolesischen Grenze, Waisen des Genozids von 1994. Liebevoll beobachtet Vanagt die Kinder, die ihre Kamera überhaupt nicht wahrzunehmen scheinen. Sie folgt einem Jungen, der sich ein Mobiltelefon aus dem Stamm einer Bananenstaude schnitzt. Das „Handy“ trägt er stolz in der Hosentasche mit sich herum, eignet sich eine Wirklichkeit symbolisch an, die er nur aus dem Fernsehen kennt.

Als Beiträge zur aktuellen politischen Debatte um Iran könnte man die beiden Filme des Iraners Solmaz Shahbazi betrachten, dem ein eigener Themenblock gewidmet ist. In „Good Times/Bad Times“ lässt Shahbazi junge Iraner, die nach dem Sturz des Schahs 1979 auf die Welt kamen, aus ihrem Alltag berichten. Themen wie Liebe und Glauben kommen erstaunlich offen zur Sprache. Sie erwähnen ohne Scham, dass es auch Jugendliche gibt, die in Kauf nehmen, für ihr Benehmen ausgepeitscht zu werden. Die O-Ton-Collage vermittelt das Bild einer selbstbewussten, reflektierenden und ungeheuer mutigen Generation. Eine junge Teheraner Fotografin etwa, die ständig darum kämpfen muss, Orte zu fotografieren, wo eigentlich nur Männer zugelassen sind, sagt lachend in die Kamera: „Wenn ich auf meinen Rechten bestehe, dann halten sie die Klappe.“

Mit Jugendkultur setzen sich auch zwei Filme unter dem Leitmotiv „ugly but trendy“ auseinander. Die Brasilianerin Denise Garcia zeigt junge Musikerinnen der berühmt-berüchtigten Baile- Funk-Bewegung, der Musik der Favelas von Rio de Janeiro. Während es auf den Konzerten noch vor wenigen Jahren regelmäßig zu tödlichen Gang-Konflikten kam, hat sich die Szene mit dem Auftauchen der unverschämt lasziv auftretenden Frauen befriedet. Bei Brasilianern der oberen Schichten und im Westen freilich ist Baile Funk dennoch als Quasi-Pornographie verschrien.

Dass Musik und Tanz für marginalisierte Gruppen auch hierzulande zum Fluchtpunkt vor Arbeitslosigkeit und Kriminalität werden, schildern Roosbeh Asmani und Messut Lencper in ihrer Milieustudie „Wedding 65“. Kleine Geschichten nur, aber sie handeln von der sozialen Wirklichkeit und wie sie von denen wahrgenommen wird, die unter ihr leiden.

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