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Wildfang. Mélisande (Lilith Stangenberg) ist gefesselt von Pelléas (Thorbjörn Björnsson).

© imago/DRAMA-Berlin.de

"Pelléas und Mélisande" an der Volksbühne: Roll rüber, Beethoven

"Pélleas und Mélisande", da denkt man gleich an Debussy. David Marton nicht. An der Volksbühne verpasst er Maeterlincks Drama einen neuen Soundtrack.

Natürlich treibt das klassische Konzertwesen, von außen betrachtet, absonderliche Blüten. Es beginnt mit der unwidersprochenen Autorität, die so ein Flügel auf der Bühne in Anspruch nimmt, findet seine Fortsetzung in der Gewissheit des Pianisten, sich an den Tasten ungestört ins Spiel versenken zu können, und gipfelt im traumwandlerischen Einlaufen des Vokalisten in die Sängerbucht, jenem Ort der Selbstvergewisserung vor dem ersten Ton, eine Hand auf den Flügel gelegt, im Rücken ein Stahlkorsett von Steinway. Das ist auf jeden Fall Theater, mit Beigaben von Illusionshandwerk und Gottesdienst. Ergiebig also. Regisseur David Marton, der keine Grenzen zwischen Theater und Musikdrama kennt, spielt mit den Ritualen eines Konzerts, wenn er an der Volksbühne „Pelléas und Mélisande“ zu einem neuen Schauspiel mit Musik fügen will. Vorlage ist für ihn dabei Maurice Maeterlincks Drama von 1892 – und keineswegs die Oper von Debussy.

David Marton misstraut dem Stoff

Dieser berühmtesten musikalischen Anverwandlung des Stoffes aus dem dunklen, immer gleichen Königreich Allemonde misstraut Marton zutiefst. Zu wenig Spiel, zu viel Kunsterstarrung. Da denkt er viel lieber an Beethoven. Der konnte „Pelléas“ naturgemäß nicht vertonen, aber das lässt sich ja nachträglich noch drehen: Golaud also sitzt am Flügel und spielt recht gut aus den Klaviersonaten (Jan Czajkowski war internationaler Preis- und ist nun dickbebrillter Seitenscheitelträger), während es ihm die blondzerrupfte Mélisande (Lilith Stangenberg) in die Sängerbucht spült. Es schert ihn nicht. Sie ist düpiert.

Dennoch kommt sie mit ihm an den Hof von König Arkel, der sich jeden Abend zum Chor aus der Trauerkantate auf den Tod Kaiser Josephs II. zu Bett legen lässt: „Da steigen die Menschen an’s Licht“ – nichts tun sie weniger bei Maeterlinck, der sie als gefangene Organismen unter einem unverständlichen Horizont zeigt, angstvoll der eigenen Sterblichkeit bewusst. Der uralte Arkel monologisiert darüber zierlich. Leider ahnt Hendrik Arnst seinen Text nur, dessen Tiefgang jedoch kaum. „Kein bisschen Zuneigung!“ kann er trotzdem skandieren.

Thorbjörn Björnsson kann nicht Gitarre spielen

Dass hier zwischen Baumstumpf und ausgestopftem Rehkitz tatsächlich Liebesbedarf besteht, ist eine kühne Behauptung. Pelléas (Thorbjörn Björnsson) jedenfalls kann zwar nicht Gitarre spielen, hat aber einen feinen Tenor, an den Mélisande anknüpft. Als er ihr jedoch auf einem Hirsch begegnet, verfängt sich ihr Feenhaar unheilvoll im Geweih. Irgendwer packt Maschinenpistolen in einen Koffer. Man ruft nach Glenn Gould. Und immer spielt Golaud Beethoven, gerade arbeitet er sich durch die 17. der 32 Sonaten. Bleibt ihm da überhaupt noch Zeit zum Brudermord? Einerlei in Martons erratischem Allemonde.

Wieder am 17., 22. und 29. Januar sowie am 1., 20. und 27. Februar

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