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Shermin Langhoff, Intendantin des Maxim Gorki Theaters.

© Ute Langkafel MAIFOTO

Perspektivwechsel in der Gesellschaft: Wenn das Fremde gleichberechtigt ist

Wie sieht das ideale Bild für Deutschland 2016 aus? Vielleicht so: Ein Syrer, eine Palästinenserin und ein jüdisch-arabisches Ehepaar aus Jerusalem sitzen zusammen in einem Deutschkurs in Berlin-Neukölln und reden sich – jeder aus seiner Perspektive – die Köpfe über den Nahostkonflikt heiß.

Wie sieht das ideale Bild für Deutschland 2016 aus? Vielleicht so: Ein Syrer, eine Palästinenserin und ein jüdisch-arabisches Ehepaar aus Jerusalem sitzen zusammen in einem Deutschkurs in Berlin-Neukölln und reden sich – jeder aus seiner Perspektive – die Köpfe über den Nahostkonflikt heiß. Anschließend gehen sie zusammen Mittag essen. Und nach der Pause outet sich der sympathisch-engagierte Deutschlehrer Stefan als gebürtiger Kasache, der eigentlich Sergej heißt.

Die Szene entstammt dem Theaterstück „The Situation“, das gerade zu sämtlichen wesentlichen Branchen-Festivals eingeladen wurde. Die in Jerusalem geborene und in Berlin lebende Regisseurin Yael Ronen hat es zusammen mit ihren Schauspielern, deren Biografien tatsächlich mit dem Nahost-Konflikt verknüpft sind, am Berliner Maxim Gorki Theater entwickelt. Die viel zitierte „offene Gesellschaft“, die ja in einigen Bereichen noch eine schöne politische Utopie ist, wird hier nämlich längst praktisch gelebt.

Und zwar überaus erfolgreich: In der öffentlichen Wahrnehmung ist das „postmigrantische“ Gorki mit seinem multiethnischen Ensemble und seinen Inszenierungen, die für hiesige Bühnen neue Themen behandeln oder Dramen-Klassiker aus ungewohnten Perspektiven zeigen, zurzeit das angesagteste Theater mindestens Berlins. Und wie sieht die Intendantin Shermin Langhoff den Erfolg, die vor drei Jahren als allererste Intendantin eines deutschen Stadttheaters mit türkischen Wurzeln überhaupt ihren Job am Gorki antrat?

Repräsentationsraum Gorki

„Das Geheimnis des Gorki ist gar keines“, bringt sie es so lapidar wie zutreffend auf den Punkt. Das große Interesse an ihrem Theater verdanke sich vielmehr der „schlichten Tatsache“, dass die „sogenannte Hochkultur zu lange ein weißes, männliches Geschäft“ gewesen sei und am Gorki endlich ein Repräsentationsraum geschaffen wurde für viele, deren Belange zuvor nicht oder nur in Nischen abgebildet“ worden seien. Wichtig, findet Langhoff, ist solch ein „Perspektivwechsel“ in der Politik – und der Gesellschaft – insgesamt: „Wenn wir das, was uns bisher als fremd galt, als gleichberechtigten Teil unseres Kosmos anerkennen und nicht nur paternalistisch wohlwollend zulassen", erklärt sie, „werden wir einen erweiterten Kulturbegriff haben.“

Und was kann die Gesellschaft in puncto Offenheit ganz konkret vom Theaterlabor Gorki lernen? Allzu pädagogischen Missionen gegenüber zeigt sich die Intendantin eher skeptisch. Aber „wie in keiner anderen Kunstform“ können auf der Bühne natürlich „Konflikte zugespitzt und sichtbar gemacht werden“, kann das Theater „Repräsentationsraum für Möglichkeiten und Kritik“ sein. Zum Beispiel in der gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt und der Berliner Humboldt-Universität entwickelten Reihe „Berliner Korrespondenzen“ im neu gegründeten Gorki-Forum, wo sich – so Langhoff – „internationale Wissenschaftler zu aktuellen Fragen von Weltordnung und -unordnung zu Wort melden.“

Weitere Artikel zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik finden Sie auf unserer Themenseite.

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