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Kultur: Peter Herrmann: Der aufrechte Blick

Am 21. Januar 1984 bekommt er das Telegramm, das ihm die Ausreise genehmigt.

Am 21. Januar 1984 bekommt er das Telegramm, das ihm die Ausreise genehmigt. Bis Mitternacht hat er Zeit, dann muss er Dresden und die DDR verlassen haben. Abschied von zwei erwachsenen Kindern und von einem Vater, den er nicht wieder sehen wird - ein Besuch beim Sterbenden wird ihm verwehrt. Peter Herrmann hatte die Entscheidung zur Ausreise lange vor sich hergeschoben, bereut hat er sie nie. "Ich hatte nicht einen Tag, nicht eine Minute Heimweh."

Noch immer gilt Peter Herrmann, dem die Berlinische Galerie am kommenden Sonnabend den mit 30 000 Mark dotierten Fred-Thieler-Preis für Malerei verleiht, als DDR-Maler. "Das haftet mir immer an", sagt er gleichmütig. Und was auch immer sonst dieses Label bedeutet, in Herrmanns Fall bezeichnet es ein Leben in einer eigenen Welt. Der Kunstbetrieb im Westen zeigte sich spröde, so nennt es Herrmann, er ist bis heute ein Außenseiter geblieben. Einer, der sich wie viele andere seiner ehemaligen Landsleute scheut Ansprüche anzumelden. "Vielleicht entsteht eine größere Aufmerksamkeit durch den Preis", sagt er. "Aber das ist auch wieder schnell vergessen."

Peter Herrmann sitzt in seinem Weddinger Atelier und zündet sich eine Camel an. Eine Marke, die heute kein Mensch mehr raucht. "Wollen Sie?" Er hat Kaffee gemacht. Einige Zeit nach der Ausreise erreicht Herrmann West-Berlin. Dort, am Schlesischen Tor, spürt er ein Glücksgefühl, das bis heute anhält. Er geht an der Mauer spazieren, eine Tristesse, die auf ihn nur authentisch wirkt. Künstlerisch fühlt er sich, als ob ihm ein Panzer von der Brust gesprungen sei.

Als die Akademie der Künste (DDR) "Junge Künstler-Malerei" ausstellt ist Peter Herrmann gerade 24 Jahre alt. Willi Sitte zeigt dort seine Stalingrad-Bilder, doch Fritz Cremer, der damalige Sekretär der Sektion Bildende Kunst, reicht das nicht. Cremer lädt eine Reihe Nachwuchskünstler ein wie Manfred Böttcher, Horst Zickelbein, Ralf Winkler, der sich später A.R.Penck nennt, Peter Makolies und eben Herrmann. Der politische Druck - der Mauerbau steht kurz bevor - entlädt sich plötzlich auf die Künstler. Herrmann wird vorgeworfen, ein Bild gemalt zu haben "voll gespielter Naivität in der Gestaltung, die das Denken preisgibt". Walter Ulbricht spricht verächtlich von dekadenter und modernistischer Kunst. "Da waren plötzlich Bilder, die nicht mit dem sozialistischen Realismus übereinstimmten", sagt Herrmann. "Ganz harmlose Bilder."

Geschadet hat Herrmann die Aufregung um die Akademie-Ausstellung nicht. Im Gegenteil. Teil der "Dresdner Schule" zu sein machte ihn unabhängig vom offiziellen Kunstbetrieb. In Hinterhöfen verkauften die Freunde Bilder, Herrmann jobbte nebenbei als Chemigraf und Restaurator. Die Dresdner, mehr Freunde als Künstlergruppe, geben dem jungen Maler eine Identität, von der später zehren kann. Erst 1973 wird er, ohne je studiert zu haben, als freischaffender Künstler in den Verband aufgenommen. Für ein Altersheim in Dresden, wo verdiente Antifaschisten ihren Lebensabend verbringen, malt er ein Triptychon über die Jahreszeiten. Acht Tage wurde diskutiert, dann abgelehnt. Warum weiß er bis heute nicht. 1980 wird Penck ausgebürgert und schließlich stellt auch Peter Herrmann den Antrag.

Er erinnert die Zeit als Folge sinnlicher Eindrücke: In Dresden hielt ihn der prächtige Barock zurück, Hamburg mochte er, weil die Elbe dort genauso roch wie in Dresden und von Berlin kann er nicht mehr lassen, seit sein Leben hier mit einem Feuerwerk begann: Neujahr 1986 steht Herrmann auf dem Kreuzberg und blickt durch die Raketenwand nach Osten. Was er sieht wird zum Großgemälde "Prosit Neujahr, Kreuzberg".

Die Liste der Thieler-Preisträger ist kurz und überwiegend männlich. "Da sind die unterschiedlichsten Leute drauf. Reinhard Pods, Walter Libuda, auch der Brandt - alles Leute, die ich schätze." Er fühlt sich wohl in dieser Umgebung, nur die Verbindung zu Fred Thieler überrascht ihn, "weil Fred Thieler ein Abstrakter war". Peter Herrmann ist kein Abstrakter. Er malt Figuren und Landschaften, zuletzt das Sowjet-Mahnmal in Treptow und eine Reihe Berliner Stadtszenen. Noch immer nicht realistisch, er ist dem frühen Kirchner und Rousseau nah, dabei so spielerisch wie die Jungen Wilden. Oft werden seine Werke als Traumbilder bezeichnet. "Ich fange erst langsam an, mich künstlerisch zu befreien. Ob ich jemals abstrakt werde, weiß ich nicht. Ich glaube nicht." Der Thieler Preis soll an Maler verliehen werden, "deren künstlerische Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist". Dagegen wehrt sich Herrmann nicht. "Der Prozess geht immer weiter."

Was ihn an Rousseau beeindruckt, sagt Peter Herrmann, ist dessen unkonventionelles Spiel mit Themen, die Geheimnisse, die er in seinen Bilder versteckt. "Da kommt der zutiefst aufrechte Blick eines Menschen zum Vorschein, der mit sich im Reinen ist." Herrmann würde das nie über sich selbst sagen und wirkt dennoch so. Bei Herrmanns Bildern, schrieb eine Kritikerin, spürt man eine Direktheit, eine ungekünstelte Ehrlichkeit. "Man ist von der Eindringlichkeit, von der echten, ursprünglichen Kraft seiner Malerei immer wieder überrascht und fasziniert."

Nur einmal verschwindet die Gelassenheit. Bei Sitte. Als er vor wenigen Tagen die Zeitungen aufschlug und die vielen Texte zu Sittes 80. Geburtstag sah, stieg die Wut in ihm auf. "Ich kam mit vor, wie damals in der DDR: der alte Meister wird gefeiert." Mit dieser Aufwertung, sagt Herrmann, hat sich der Westen keinen guten Dienst erwiesen, und man spürt die Kränkung, die einer wie er dabei empfunden hat. Doch das ist ein Thema, sagt er, über das er gar niht reden wollte.

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