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Peter Kern, zu Gast in Berlin. Foto: dpa

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Peter Kern: In die Goschn

Der österreichische Schauspieler und Filmemacher Peter Kern zeigt im Panorama sein jüngstes Werk „Glaube, Liebe, Tod“, das er in brandenburgischen Gewässern gedreht hat. Patrick Wildermann hat den Exzentriker aus Wien getroffen

„Wie gerne würde ich heute für einen Film ins Gefängnis gehen“, seufzt Peter Kern über einer Tasse Earl Grey. „Aber Sie können ja alles zeigen, weil alles belanglos geworden ist.“ Nicht wie in den goldenen Fünfzigern, als der große Jean Genet in einem Bordellkeller „Un chant d’amour“ drehte und sich ein Aufführungsverbot wegen Pornografie einhandelte. Kern vergöttert diesen Kurzfilm über zwei Liebende in getrennten Kerkerzellen, er hat auch gleich eine schöne Anekdote parat, wessen „Glied in voller Erregung“ darin angeblich zu sehen ist – das von Cocteau-Freund Jean Marais nämlich. Aber gut, was nützt das jetzt. Kern kann sich vor Genet verbeugen, wie er es mit seinem Film „Die toten Körper der Lebenden“ getan hat. Aber er lebt in Zeiten des Mittelmaßes. Das ist seine Tragik.

Als Hauptdarsteller seines jüngsten Films „Glaube, Liebe, Tod“ heißt er Peter Gmeiner, ist 63 Jahre alt und lebt in einer Einrichtung für Behinderte. Der Heimleiter hat ihm versprochen, dass er zwei Puddings zum Nachtisch bekommt, wenn er nicht mehr ins Bett macht. Gmeiner wird uns vorgestellt als Österreicher, „unzurechnungsfähig, hysterisch, verlogen und undemokratisch“. Und kaum will man zaghaft fragen, ob es da womöglich Ähnlichkeiten zwischen Figur und Schöpfer gebe, ruft Kern auch schon: „So empfinde ich mich und mein Leben in Österreich.“ Der braune Humus seiner Heimat ist der Nährboden des renitenten Künstlers.

„Glaube, Liebe, Tod“ erzählt eine Mutter-Sohn-Geschichte, die großartige Traute Furthner spielt eine faschistische alte Schachtel, die ihren Peter mit Fragen nach Bluthochdruck und Vorwürfen triezt. Der wird sein Coming-out haben, im Frührentneralter. Da treiben die beiden schon auf einem manövrierunfähigen Hausboot dahin. Ganz auf sich zurückgeworfen. Und weil der private Schmerz immer auch Symptom der kranken Politik ist, lässt Kern noch einen jungen Marokkaner dazustoßen (Joao Pedrosa), der all jene Flüchtlinge repräsentiert, die ihr Glück in Europa suchen, aber bestenfalls auf Lampedusa stranden. Bei Kern endet der Ärmste unterm Muttermesser.

Der Autor, Regisseur und Produzent hat seinen Film im vergangenen Sommer auf brandenburgischen Gewässern realisiert. Weil sie hier einen behindertengerechten Kahn auftreiben konnten, „in dem ein 180 Kilo schwerer Mann sich bewegen kann“. Der Lychensee ist Kerns „Cape Fear“, die Irrfahrt sein „Apocalypse Now“: mitten ins europäische Herz der Finsternis. Ans Ende hat er Bilder qualvoll verreckter Nordafrikaner gestellt, und wenn man ihn fragt, ob das denn sein musste, funkelt er einen über die Brille hinweg an: „Ich finde Ihre Frage obszön! Sie sind nicht fähig, die Toten anzuschauen!“ Am liebsten hätte er die Bilder noch eine Viertelstunde länger gezeigt.

Begegnungen mit Peter Kern sind Lehrstunden in Empörung. Man erlebt sie wie den Film: beglückt vom absurden Humor. Entflammt von der gerechten Wut. Und manchmal mit einem Gefühl, als führe man als Schaulustiger an einem Unfall mit Schwerverletzten vorbei. Aber wie herrlich kann der Kern zürnen! Über die Amis, den Oscar, den Kapitalismus und die Multiplexe. Über eine „Ordnungshütergesellschaft, der man in die Goschn haun muss“. Und natürlich über eine Filmbranche, die wie der Rest der Gesellschaft vom „Wulffschen Syndrom“ des Lavierens ergriffen sei und nurmehr gelackte Fernsehspiele produziere.

Seit drei Jahren hat Kern ein großes Werk mit dem Titel „Der letzte Sommer der Reichen“ in Planung, er hat sogar versucht, Lindsay Lohan dafür zu gewinnen, aber es hakt mit der Finanzierung. Also dreht der Mann, der als Schauspieler die Fassbinder- und Geißendörfer-Jahre des neuen deutschen Films mitgeprägt hat, seine No-Budget-Projekte. Macht unbeirrt sein „Kino der Verletzten“, wie es ein US-Kritiker mal formulierte. Läuft mit Plakaten unterm Arm über die Berlinale, wo er fast jedes Jahr seinen Geburtstag feiert. Und haust in Wien in einem Arbeiterviertel im 21. Bezirk, in der väterlichen Wohnung, wo sie ihm neulich bei minus 15 Grad die Heizung abgestellt haben, weil er während eines Krankenhausaufenthalts einen Ablesetermin versäumt hat.

Kern hat lange in Düsseldorf gelebt, er wollte ja gar nicht zurück nach Österreich. In das Land, wo sie ihn via Internet anonym als Steuergelder verprassende „Fettsau“ schmähen. Aber der Regisseur Peter Zadek hat ihn vor Jahren zurück ans Burgtheater gelockt, und Kern, der Theaternarr, konnte nicht widerstehen. Zuletzt hätte er in Wedekinds „Lulu“ an der Burg spielen sollen, aber die Produktion platzte, und Kern schrieb einen dieser hintersinnigen Aufwasch-Artikel, die er gern mal veröffentlicht.

Trägt ihm das keinen Ärger ein? Kurze Originaltoneinblendung: „Aaah, ich bitt’ Sie. Ich sitz’ mit dem Volker Spengler in oinem Stricherlokal in Wien, ess’ Blutwurst, da klingelt das Telefon.“ Am Apparat der Burgtheaterdirektor, dessen Namen er sich nie merken kann (er heißt Matthias Hartmann): „Herr Keeern, ich lese gerade Ihren Artikel, ich mag das seeehr, wie Sie schreiben!“ Und dann lacht Kern, dass die siebte Etage seines Lifestyle-Hotels bebt.

Wohin der Künstler auch blickt, um ihn herum ist der Mensch des Menschen Wulff, und alle wollen Harmonie. Die hält Kern so wenig aus wie Bewunderung. Den kreativen Konflikt sucht er, „mit Schimpfwörtern, Hose runterlassen“, allem, was dazugehört. „Ich habe ja ein gespaltenes Verhältnis zu jedermann, weil ich nicht gelernt habe zu gehorchen.“

15.2., 14.30 Uhr (Cubix 9), 16.2., 14 Uhr (International)

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