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© Christian Knips

Peter Licht: Deutschlands Underground-Popstar rechnet ab

Auf seinen Konzerten herrscht strengstes Fotografieverbot, bei Harald Schmidt ließ er sich nur bis zum Kinn filmen. Peter Licht treibt dieses Spiel auch mit seinem vierten Album weiter - und rechnet gnadenlos mit der Welt der Werber und Waren ab.

Stellen Sie sich, lieber Leser, bitte einmal kurz einen jungen Mann von Mitte, Ende dreißig vor. Sein dunkelblondes Haar ist schon etwas schütter, die Nase spitz und klein, der Mund schmal. Er trägt eine Brille mit silbernem Metallrand, ein helles Oberhemd und einen eher grauen als schwarzen Anzug. Das Auffälligste an ihm ist seine Unauffälligkeit. Wie ein Popstar sieht er nicht aus. Eher wie ein IT-Angestellter, Marketing-Mitarbeiter oder Werbetexter.

Was Peter Licht in einem früheren Leben ja auch tatsächlich einmal gewesen sein soll. Wobei man von dem Mann, der absurderweise so etwas wie Deutschlands derzeit aufregendster Underground-Popstar ist, wenig mehr weiß, als dass er aus Köln kommt und in Wirklichkeit nicht Peter Licht heißt. Und wohl auch nicht Meinrad Jungblut, wie er sich auch nannte, als ihm im Jahr 2000 mit „Sonnendeck“ ein veritabler Sommerhit gelang. Anfangs gab der Sänger Interviews nur am Telefon und ließ seine Stimme dabei von einem Verzerrer zerschreddern, sein Gesicht will er bis heute nicht für die Medien hergeben. Auf seinen Konzerten herrscht strengstes Fotografierverbot, bei einem Auftritt in der Harald Schmidt Show ließ er sich nur bis zum Kinn filmen.

Man kann dieses Katz- und Mausspiel mit der Öffentlichkeit für Konzeptkunst, für eine Partisanentaktik im Kampf gegen die immer weiter fortschreitende Verwertung alles Privaten oder schlicht für eine PR-Masche halten. Es führt jedenfalls zu einer ziemlichen Fallhöhe, wenn einem die Kunstfigur Peter Licht plötzlich als Lebewesen aus Fleisch und Blut im Kaminzimmer eines holzgetäfelten Berliner Privatclubs gegenübersitzt. Mit leiser, mitunter stockender Stimme und stets in druckreifen Sätzen gibt Licht Auskunft über sich und sein neues Album „Melancholie und Gesellschaft“, das heute erscheint. Einen „nachdenklichen Poeten“ hätte man ihn wohl in einer Ära genannt, als Künstler wie er noch als „Liedermacher“ bezeichnet wurden.

Wenn er seine Identität verschleiert, dann nicht, um damit den derzeit im Pop wieder heftig verehrten Fetisch „Authentizität“ zu kritisieren. Im Gegenteil. „Ich empfinde das, was ich mache, schon als sehr authentisch“, sagt er. „Aber es geht nicht um mich in meiner Arbeit. Ich möchte, dass die Lieder nur von sich selber handeln.“ Absurd sei es doch, dass er Helmut Kohl für „einen alten Freund“ halten könne, weil er in den achtziger Jahren mit ihm im Fernsehen aufgewachsen sei. „Über die Medien kommen einem Menschen privat ganz nah, aber diese Beziehung existiert in Wirklichkeit ja gar nicht.“ Derlei Schein-Vertrautheiten will Licht mit seiner Kunst „am liebsten abschaffen“. Deshalb antwortet er selbst auf eine harmlose Frage wie die, ob er selber Erfahrung mit Werbung gemacht habe, mit einem kategorischen Imperativ: „Ich mache grundsätzlich keine Angaben zur Biografie.“

Wobei unklar bleibt, wo genau die Grundsätze beginnen. So veröffentlicht Licht auch zu seiner neuen, vierten Platte wieder Porträtfotos. Sein Kopf ist auf ihnen allerdings stets kunstvoll durch vorbeifliegende Tassen, Teller oder Bücher abgeschnitten. „Für mich müsste es diese Bilder nicht geben“, sagt er. „Aber ich muss die PR-Maschinerie ja bedienen.“

Eigentlich dagegen sein, aber trotzdem irgendwie mitmachen. Wer will, kann in dieser paradoxen Haltung auch ein Statement zu einer Welt sehen, der mit den Utopien auch die Gut/Böse-Schemata abhanden gekommen sind. „Soviel Sekunden hat mein Tag nicht, die ich bräuchte, um mein Nein zu sagen, meine Neine“, singt Licht in dem Stück „Räume räumen“, das dann doch in einen weltumarmenden „Ja, Ja, Ja“-Chor und der Aufforderung „Lass uns glücklich sein“ mündet. Dazu hallen Pianoakkorde, Streicher seufzen. Lichts viertes Album ist noch etwas lieblicher und kuschelrockiger geraten als seine epochalen, 2006 erschienenen „Lieder vom Ende des Kapitalismus“, wo er im Titelstück dem System hinterhergesäuselt hatte: „Der Kapitalismus ist uns lange genug auf der Tasche gelegen/ Vorbei, vorhorbei, jetzt ist er endlich vorbei.“

Lichts Lieder lullen ein, aber unter ihrer Klangschönheit verbergen sich lyrische Reißzwecken. Die Hymne „Marketing“ versammelt ins Kriegerische abgerutschte Redensarten aus dem PR-Deutsch und gipfelt zu Akkustikgitarrengezirpe und Glockenspiel in einem Auslöschungs-ABC von „abfackeln, abreißen, abtreiben“ bis „zerlegen, zertreten, zerquetschen“. Und der federnde Pop-Knaller „Stilberatung (Restsexualität)“ fordert die „lieben Medien-, Werbe-, Film- und Fernsehschaffenden“ auf: „Bitte, bitte in Zusammenhang mit euren Produkten nie mehr Sexualität zeigen“, denn: „Bedeckte Körper sind in Ordnung“ und: „Es gibt keinen wahren Po im Falschen.“ Peter Licht spielt mit den Floskeln der Suhrkamp-Kultur, er dreht und wendet die Worte, bis sich ihr Sinn ins Absurde auflöst. Gnadenlos rechnet er mit der Welt der Werber und Waren ab. Er ist ein Bruder im Geiste des Pariser Skandalautors Frédéric Beigbeder („39,90“), nur dass er seiner Mission mit noch größerer Ernsthaftigkeit nachgeht.

Sein Album soll eine „komplett ironiefreie Zone“ sein, deshalb hat er auch auf Samples verzichtet und jeden Ton mit seiner vierköpfigen Band eingespielt. Mit dieser Sehnsucht nach „etwas Purem und Reinem“ sieht sich Licht in einer spezifisch deutschen Tradition vom Kunstlied der Romantik bis zum Maschinenmusik-Pathos der von ihm bewunderten Band Kraftwerk. In seinen besten Texten ist Licht der präzise Diagnostiker einer Zeit, deren Hauptumgangsformen er als „Beißhaltungen“ beschreibt. Die Gesellschaft, wie er sie sieht, ist auf den Hund gekommen: „Um erfolgreiche Kampagnen zu machen, muss viel gebissen werden. Ich beiße und werde gebissen“

Beim Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb hatte Licht im letzten Jahr mit einer Erzählung den Publikumspreis erobert und die Kritiker polarisiert, die nun als Buch herausgekommen ist. „Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends“ beginnt zwar mit den Worten „Es ging mir gut“, doch dann zieht jeder nachfolgende dem davorstehenden Satz so lange den Boden unter den Füßen weg, bis sich der Ich-Erzähler in einer postapokalyptischen Endspiel-Landschaft wiederfindet. Schriftsteller wurde Licht eher per Zufall, die Kritikerin Iris Radisch lud ihn nach Klagenfurt ein. Auch in die Pop-Branche ist er „hineingerutscht“. Eigentlich wollte er „Globoli-Punk“ spielen und „die leiseste Band der Welt“ anführen. Jetzt hat Peter Licht vor tausenden Zuschauern auf der Hauptbühne das Melt-Festival eröffnet. Es regnete in Strömen, wie in Woodstock. Es war Rock’n’Roll. Und es gefiel ihm.

„Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends“ von Peter Licht ist im Blumenbar Verlag erschienen, 64 Seiten, 14,90 €. Am 3. Oktober spielt Licht im Berliner Gorki-Theater.

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