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Raue

© Thilo Rückeis

Peter Raue: Der Impresario

Ende einer Ära: Peter Raue gibt nach 31 Jahren den Vorsitz der Freunde der Nationalgalerie ab.

Bei Fontane wäre er wahrscheinlich der kunstsinnige Kommerzialrat mit Sinn für Höheres. Der in seiner Jugend davon träumt, ans Theater zu gehen, und bis ins Alter die Leidenschaft für die Bühne behalten hat. Der sich sein Haus mit neuer Kunst füllt, und den Künstlern dazu, stets Mittelpunkt eines Kreises kulturbegeisterter Bürger, mit kleiner Schwäche und Bewunderung für den Adel. Wie hätte Fontane sie seitenlang ausgemalt, die Gespräche im Hause Raue. Ein Porträt der West-Berliner Gesellschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts wäre es geworden, im Stil des 19. Jahrhunderts.

Einerseits. Andererseits ist der 67-jährige Anwalt Peter Raue der Turbo-Booster der Berliner Kunstszene, ganz eindeutig 21. Jahrhundert. Immer in Bewegung, die Fliege frech verrutscht, die weißen Locken sturm- und leidenschaftszerzaust, permanent auf dem Sprung, per Fahrrad oder Smart. Ein geistreicher Schnellsprecher, ein genialer Strippenzieher, der längst global denkt, nicht mehr lokal.

Den Freundeskreis der Nationalgalerie, den er seit seiner Wiedergründung 1977 führt, hat er in 31 Jahren Vorstandsvorsitz zu einem höchst modernen Kunstförderinstrument umgewandelt. Längst ist er nicht mehr, wie zu seiner Gründung in grauen West-Berliner Zeiten, vor allem ein Einkaufsinstrument für eine durch Nationalsozialismus und Nachkriegsarmut geschröpfte Sammlung. Heute agiert der Förderkreis als globale Kulturagentur zwischen New York und Dubai – und als begehrter inner circle der neuen Berliner Kulturgesellschaft. Denn wenn es in Berlin, dem die Kulturbürger im Verlauf des 20. Jahrhunderts so grausam abhanden kamen, überhaupt wieder eine illustre Kulturgesellschaft gibt, dann ist das mit ein Hauptverdienst der Freunde der Nationalgalerie. Über 1400 Mitglieder sind bereit, den hohen jährlichen Mitgliedsbeitrag von 600 Euro zu zahlen und dafür mit glanzvollen Eröffnungsparties, Events, Dinners und Privatführungen belohnt werden – wer immer den Einstieg in die Berliner High Society sucht, ist bei den Freunden gut aufgehoben. Eine Wiederbebung des Kulturmäzentatentums aus dem Geist des 21. Jahrhunderts, das ist für die finanziell arme, kulturell so reiche Stadt Berlin eine erstaunliche Leistung – und ein Segen.

Wenn Peter Raue nun am kommenden Montag bei der alljährlichen Mitgliederversammlung samt angeschlossenem Dinner in der Neuen Nationalgalerie tatsächlich den Vorsitz an die ehemalige Kulturstaatsministerin Christina Weiss abgibt – eigentlich war ein Abgang schon nach dem spektakulären MoMA-in-Berlin-Erfolg 2004 geplant – hinterlässt er seiner Nachfolgerin ein wohlbestelltes Haus. Und eine hochgelegte Hürde. Denn der Verein der Freunde der Nationalgalerie war Peter Raue – da mögen noch so viel kluge Geister im Hintergrund agiert haben. Peter Raue war es, der mit unnachahmlicher Nonchalance auf den Podien saß, wenn es den Verein zu repräsentieren galt. Peter Raue war es, der, leidenschaftlich und kundig, die Vereinsmitglieder und prominente Gäste durch die Ausstellungen führte, stets genussvoll subjektiv. Und Peter Raue war es, der dank seiner weitgespannten Kontakte viele Unternehmungen erst möglich machte.

Das begann lange vor den überwältigenden Erfolgen von MoMA und Metropolitan: mit spektakulären Ankäufen wie Otto Dix’ „Skatspielern“, Barnett Newmans „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue“ oder heute vor allem Gegenwartskunst für den Hamburger Bahnhof, die aus den übergebliebenen Erlösen der MoMA-Schau finanziert werden. Im Ausstellungsbereich herrscht eine gesunde Mischkalkulation zwischen Blockbustern und – dadurch finanzierten – sperrigeren Themen wie der überragenden Brice-Marden-Ausstellung 2007 im Hamburger Bahnhof. Mit diesem Erfolgsmodell ist der Verein der Freunde der Big Player unter den Freundeskreisen der Berliner Museen – und der eigentliche Programmmacher der Nationalgalerie.

Nicht, dass alle Unternehmungen gleich gut gelangen. Der hoch dotierte Preis der Nationalgalerie, der auf Anraten des Kunstsammlers Rolf Hoffmann die Stellung der ganz jungen Kunst in Berlin verbessern sollte, schlingert seit seiner Gründung im Jahr 2000 durch diverse Experimentalphasen in Jury- und Auswahlverfahren und kämpft in der Kunstszene immer noch um Anerkennung – so geraten die Preisverleihungen oft eher zum Berliner Society-Treff als zum großen, ausgelassenen Künstlerfest.

Wichtiger ist eine andere Neuerung. Seit der spektakulären MoMA-Kampagne setzt der Verein für alle Großausstellungen der Nationalgalerie auf offensives Marketing: Plakataktionen quer durch Deutschland, bewusstes Branding und gewagte Anglizismen wie die der Live Speaker in den Ausstellungen, nämlich Studenten, die auf Wunsch Erklärungen zu den einzelnen Bildern abgeben und den Dialog zwischen Publikum und Kunst anregen – mit all diesen Maßnahmen, hinter denen deutlich die Hand und das Geld des Vereins steht, sorgen Institutionen wie Hamburger Bahnhof und Neue Nationalgalerie inzwischen für eine spürbare Popularisierung der Kunst. Ein stilbildendes Erfolgsmodell, nicht nur, was die Besucherzahlen angeht.

Und die Zukunft? Raues Abgang fällt in eine Übergangsphase, bedeutet auch eine inhaltliche Zäsur für die Museen. Mit Hermann Parzinger, der am Montag beim Vereins-Dinner den Festvortrag halten wird, steht dem Freundeskreis seit Anfang März ein moderner, globalisierter Kulturmanager als Partner zur Seite, einer, der sich eher auf Osteuropa als auf den bewährten Kontakt nach Amerika konzentriert. Auch der so eloquente Generaldirektor der Staatlichen Museen, Peter-Klaus Schuster, mit dem sich Raue so oft auf dem Podium die Bälle hin- und hergespielt hat, wird im Herbst abgelöst, durch Michael Eissenhauer als Museumsgeneral und Udo Kittelmann als Direktor der Nationalgalerie. Kittelmann und Weiss, Parzinger und Eissenhauer – das werden andere Zeiten für die Staatlichen Museen. Nicht mehr so glanzvoll repräsentative vielleicht, dafür aber gegenwartsbezogener und innovativer.

Peter Raue, der in seiner eigenen Kunstsammlung nie die Blockbuster, oft die unbequemen, sperrigen, komplexen Werke gesammelt hat, wird diese Entwicklung natürlich aufmerksam, kritisch, leidenschaftlich begleiten. Und, wenn nötig, auch wieder mit aufs Podium steigen. Als unermüdlicher Anwalt für die Kunst.

Christina Tilmann

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