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© dpa

Peter Zadek: Der Größte

Ben Becker, Giora Feidman, Udo Lindenberg und viele andere feiern in Hamburg den im Sommer verstorbenen Peter Zadek. Das letzte Wort hatte der Jahrhundertregisseur selbst.

Alle, fast alle waren sie in Hamburgs Deutsches Schauspielhaus gekommen, zu dieser Sonntagsmatinee, die schlicht „Ein Fest für Peter“ hieß. Am grauen Morgen schon glich der Frühzug vom Berliner Hauptbahnhof nach Hamburg keinem Trauerzug, sondern eher einem Fan-Express voller Schauspieler, amtierenden oder ehemaligen Intendanten und ebensolchen Kulturpolitikern. Ben Becker zum Beispiel, mit schwarzer Melone und dunkler Filmstarangebertränendrüsenschutzsonnenbrille wirkte da im eng gedrängten Speisewagen wie jene Art von Clown, der bei Shakespeare (oder Beckett) immer eine Mischung aus Totengräber, weisem Narren und philosophischem Penner spielt. Schon das hätte Peter Zadek gefallen.

Nach Fritz Kortner war er in den letzten 60 Jahren der bedeutendste deutsche Theatererfinder: eine dank künstlerischer Intelligenz, wildester Experimentier- und Provokationslust und haarscharfer Beobachtungsgabe schier überreiche Jahrhundertfigur, dazu mit der Biografie des in Berlin geborenen England-Emigranten und Heimkehrers geschlagen und gesegnet. An diesen Weg voller Kurven und Kreuzungen, voller Triumphe, Abstürze und Wiederaufstiege hat das von Ulrich Waller, dem enthusiastischen Chef des St. Pauli Theaters, inszenierte „Fest für Peter“ die tausend Gäste, Freunde und Hinterbliebenen aus Zadeks großer Theaterfamilie erinnert. In drei bewegenden Stunden.

Giora Feidman: Peter öffnete Deutschland für mich

Das St. Pauli Theater, die räudige schöne Bude an der Reeperbahn, und das stuckprunkende, goldputtige Schauspielhaus, Deutschlands größtes Theater, diese beiden Hamburger Tatorte bezeichnen, stellvertretend für alle anderen Karrierestationen zwischen Berlin und Wien, Ulm, Bremen, Bochum, Paris oder Zürich, die Spanne und Spannung des im Sommer mit 83 Jahren Gestorbenen. Er wurde vor Kurzem erst auf einem kleinen Friedhof im toskanischen Lucca, nahe seinem Ferienhaus, begraben.

Über der Riesenbühne, die ebenso Gründgens’ Triumphe wie Zadeks Skandale (die triumphalen, „Othello“!) erlebt hat, hing nun ein wunderbares Foto des alten, in den hellen Augen noch so geistesblitzhaften P. Z. Ihn haben sie mit kleinen Zeichen, Küssen, Hutlüften oder Verbeugungen gegrüßt – und Giora Feidman hat ihn lange, mit dem Rücken zum Publikum in einem schwermütigen, kleszmer-jazzigen Solo direkt angespielt. Dann erzählt der israelische Klarinettenstar in herrlichem Deutsch-Englisch, wie kurios und hartnäckig er, der noch nie etwas von deutschem Theater gehört und gesehen hatte, von Zadek 1984 für die Berliner Uraufführung ausgerechnet des KZ-Musicals „Ghetto“ engagiert wurde. Ihm sei das alles ganz unheimlich vorgekommen, seine Frau und Freunde hätten ihm abgeraten – dann sagt der kleine alte, weise Herr und große Musiker: „I am a Jude and I feel at home in Deutschland. Als Jude. Thanks to Peter, because he opened the door for me.“

Das wirkt nach, über den Tag hinaus.

Jürgen Flimm, Hannelore Hoger, Otto Sander, Ilse Ritter oder Zadeks Frau und Muse der letzten Jahrzehnte, die Schriftstellerin Elisabeth Plessen, die in so zarten wie starken Gedichten die manchmal auch schwierige, doch alle Zweifel überstrahlende Liebe zu ihrem Mann beschwor, sie und viele andere kämpften immer wieder mit den Tränen an diesem langen, kurzweiligen Mittag. Doch das war, wie in Zadeks Theater, nur die andere Seite des Lachens.

Des Überlebenswitzes. Zadeks mal zynischen, mal charmant raubtierhaften, mal schier existenznotwendigen oder metierbewussten Witz rief auch Jürgen Flimm, noch Direktor der Salzburger Festspiele und demnächst Berlins Staatsopernintendant, in seiner theaterlebensklugen Trauerrede wach. Er erzählte vom Vorsprechen bei Zadek, und wenn sich die aufgeregten jungen Talente an den „wesentlichen Monologen Goethe, Schiller, Kleists“ auf der Bühne endlich abgezappelt hatten, pflegte Zadek unten im Parkett mit seinem englisch-hanseatisch-berlinischen Nölton zu fragen: „Haben Sie auch was Lustiges?“.

Udo Lindenberg: So was Großes geht nicht vorbei

Lustig aber sei es einem nicht zumute in diesem Todesjahr auch von Pina Bausch und Jürgen Gosch. Zadek hatte als Erster von ihnen weder „Imitationen des Lebens“ gezeigt „noch formelhafte Stilisierungen“ (so Flimm), sondern Kunst und Realität aneinander gemessen und in beiden eine tiefere, von Vorurteilen, Selbstgewissheiten und falschen Rücksichten freie Wahrheit gesucht. Verwandlung statt Verstellung. Wildgruber statt Wohltöner. Und immer war’s kein Theater um des Theaters willen, sondern das Publikum war gemeint. Es sollte sich aufregen, anregen. Nur nicht langweilen.

Davon sprachen auch Ilse Ritter und Claus Peymann, beide in mal witziger, mal anrührender Hochform, es grüßte Luc Bondy mit einer Botschaft aus New York, und Gert Voss, durch einen Beinbruch als Wiener Mephisto an seinem Auftritt gehindert, wurde beim Verlesen einer Hommage à P. vom jungen August Diehl vertreten. Es sangen auch Eva Matthes und Angela Winkler davon, selbst wenn es ein Gedicht von Brecht war oder eine von Zadek geliebte italienisch-kalabresische, herrlich zungenbrecherische Volksweise. Nur Zadeks große Bühnenbildkünstler und revolutionären Raumveränderer kamen etwas zu kurz, einige, wie Wilfried Minks oder der Maler Johannes Grützke, saßen immerhin im Parkett. Und dann kam Udo Lindenberg.

Mit ihm hatte Zadek vor genau 30 Jahren das Rockmusical „Dröhnland Symphonie“ gemacht. Jetzt begleitete ihn allein ein Pianist, und Udo, dessen Sprachmelodie so sehr an Peter Zadeks Ton erinnert, Udo sang eine sehr lange Version von seinem der verblichenen Geliebten und nun dem toten Freund gewidmeten „Horizont“. Sang „Du und ich das war / einfach unschlagbar / ein Paar wie Blitz und Donner / und immer nur auf brennend heißer Spur“. Den Hut zog er nicht, doch er sagte allen „so was Großes geht nicht einfach so vorbei“.

Das letzte Wort hatte freilich Zadek selbst. In einem eingespielten Fernsehinterview gefragt, was man von ihm einst erinnern solle, antwortete er, nach kurzem Nachdenken, mit nur einem Wort: „Unruhe“.

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