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Der Haus-Meister. Peter Zumthor in seinem Atelierhaus im schweizerischen Haldenstein bei Chur, aufgenommen 2013. Foto: dpa/picture-alliance

© picture alliance/KEYSTONE

Peter Zumthor im Gespräch: „Jedes Bauwerk hat einen emotionalen Kern“

Offene Form: Der Schweizer Architekt Peter Zumthor über seinen Erfolg in Köln, das Scheitern in Berlin und ein neues Museum in Los Angeles

Herr Zumthor, Ihre Arbeit wird stets mit Begriffen beschrieben, die weniger mit Architektur im engeren Sinne zu tun haben als vielmehr mit einer Lebensauffassung.

Architektur hat sehr viel mit dem Leben zu tun. Ich glaube, jeder gute Entwurf, jedes gute Gebäude von mir hat einen emotionalen Kern. Früher habe ich gesagt, ich muss ein Konzept haben, aber jetzt bin ich ein bisschen älter, jetzt beobachte ich das noch genauer und sehe jedes Mal einen emotionalen Kern, eine Art Berührung mit dem Leben. Dann entsteht ein Gefühl für den Ort, für die Aufgabe und für die Menschen, die in diesem Gebäude leben werden. Häufig sind das Sehnsüchte oder manchmal etwas, das mir fehlt, dann drückt es einen Mangel aus. Ich habe jetzt 43 Gebäude in fünf neuen Büchern beschrieben, und es hat mich interessiert, nochmals die Gefühle zu spüren, die alten Wünsche zu entdecken und zu sehen, wie die in der Zwischenzeit vielleicht ganz anders in Erfüllung gegangen sind, wie die sich weiterentwickelt haben.

Wenn Sie von Gefühlen sprechen, denke ich eher an Behausungen für das menschliche Dasein. Aber es gibt zugleich Kategorien wie Funktionalität, etwa die Bewältigung großer Besuchermengen in einem Museum. Und kommen nicht auch Budgetrestriktionen ins Spiel?

Auf der Ebene des Erfindens und Entwerfens und Entdeckens des neuen Gebäudes spielt die Größe keine Rolle. Ob Sie einen Stuhl entwerfen oder ein Gebäude – das ist in der Art, das anzupacken, sehr ähnlich. Beides hat eine Form, beides hat eine Geschichte. Je größer Sie etwas entwerfen, desto mehr sind Sie umgeben, umzingelt von Sachzwängen ökonomischer und technischer Art. Um etwas Großes in einer ähnlichen Weise zu durchdenken, brauche ich glückliche Umstände und gute Menschen, die mir helfen. Beispiel Kolumba Köln: Das war auch nicht so einfach, auf diesem historischen Grund diese Dinge zu verwirklichen. Da hatte ich aber eine Bauherrenschaft, die das gleiche gedacht hat, wir zogen am gleichen Strick. Und das habe ich jetzt auch in Los Angeles mit Michael Govan.

In Berlin bei der Topographie des Terrors haben Sie mit Einschränkungen zu kämpfen gehabt.

Schon bald nach dem Wettbewerb hatte das Projekt keine Verfechter mehr. Wie gesagt: Bei einem Gebäude braucht es eine eingeschworene Gruppe von Menschen, die etwas gemeinsam wollen, die überzeugt sind von der Idee des Gebäudes und die meine Arbeitsweise verstehen. Im Berliner Fall sagte eine Sachbearbeiterin der Bauverwaltung zu ihrem Vorgesetzten gleich nach dem Wettbewerb, „das Budget ist doch viel zu klein um das Gebäude zu bauen oder das Bauprogramm ist zu groß“. Da sagt der Chef, „das habe ich jetzt aber nicht gehört. Wir arbeiten weiter!“ Da war ich nicht alt genug, um vom Tisch aufzustehen und nach Hause zu gehen! Noch wusste ich nicht, dass wenn sich der Bauherr in die Tasche lügt, irgendwann der Architekt die Konsequenzen davontragen muss. Ich habe gerne in jeder Phase des Bauens eine korrekte Vorstellung von den Baukosten und ich halte die Budgetzahlen auch gerne ein. Das gehört zur Professionalität meiner Arbeit, dass wir in jeder Phase gerechte Kosten auf den Tisch legen und uns nicht in die Tasche lügen. Ich habe auch in der Schweiz ein Kunstmuseum gebaut, bei dem wir Geld zurückgegeben haben. Die Bruder-Klaus-Kapelle hat mich persönlich 200 000 Franken gekostet, weil ich versprochen hatte, das gratis zu machen. Und der Finanzdirektor der Erzdiözese Köln hat zur Schlussabrechnung für das Museum Kolumba gesagt, „17 Prozent höher als ursprünglich veranschlagt, Herr Zumthor, das ist sehr im Rahmen, damit kann ich gut leben. Und wissen Sie: Das Museum ist so erfolgreich bei den Leuten.“

Architektur bewährt sich im Umgang mit den Menschen an seinem Ort

Der Haus-Meister. Peter Zumthor in seinem Atelierhaus im schweizerischen Haldenstein bei Chur, aufgenommen 2013. Foto: dpa/picture-alliance
Der Haus-Meister. Peter Zumthor in seinem Atelierhaus im schweizerischen Haldenstein bei Chur, aufgenommen 2013. Foto: dpa/picture-alliance

© picture alliance/KEYSTONE

Für das LACMA in Los Angeles, das größte Vorhaben, das Sie je in Angriff genommen haben, haben Sie eine sehr organoide Form gewählt. Andere Gebäude, etwa das Kunstmuseum Bregenz, zeigen harte, geometrische Formen. Sie haben einmal gesagt, dass die Form erst am Ende des Entwurfsprozesses entsteht und Sie selbst überrascht sind, welche Form ein bestimmter Entwurf schließlich entwickelt. Sind Sie offen für alle Formen?
Offen für alle Formen und offen für alle Materialien. Am Anfang bin ich offen für alles. Und da treffe ich mich mit dem Filmregisseur Wim Wenders. Er sagt, bevor ich einen Film anfange, gehe ich an den Ort, wo der Film spielen soll, und lasse diesen Ort auf mich einwirken, um zu sehen, welche Geschichte ich für diesen Ort erzählen will. Das ist bei mir ganz ähnlich. Dieser emotionale Kern entsteht genau dort, wo ich zum ersten Mal an den Ort gehe und mir vorstelle, was die Auftraggeber wollen, und das ist dann im Kopf wie ein chemischer Prozess, dann ist dieser emotionale Kern da. Und das kann ich konkret am Beispiel des Kunstmuseums Bregenz beantworten: das Licht des Bodensees, diese harten Körper, die alle am Ufer stehen, und wir sagen: Wir machen einen Körper, der das Licht auffängt, der dasteht wie die anderen Körper, die die Bucht säumen. Und in L.A. da sind diese tar pits, diese Teer- Tümpel, dann diese Horizontalität und diese Umgebung, da ist dieses Einfamilienhaus-Quartier, dann sind da die klassisch geordneten Bauten von Renzo Piano und so weiter. Und dann habe ich diese Form, die sich fast so wie eine Pflanze an die verschiedenen Bedingungen anpasst, die eine Mitte behauptet – und als diese Form da war, konnte man sehen, das sie etwas mit den tar pits zu tun hat! Sie wächst aus dem Ort heraus.

Nun gibt es bei Wettbewerben bestimmte Vorgaben, die Sie berücksichtigen müssen, Sie können nicht jede Form frei wählen.

Das ist auch gut so! Das ist doch das Spannende an meiner Aufgabe. Die Grundform für das Kolumba-Museum in Köln, die habe ich aufgezeichnet während der Vorstellung des Bauprogramms, während der Erklärung zum Wettbewerb! Der Ansatz war mir dort von Anfang an klar.

Fällt die Entscheidung zur Wahl der Materialien früh?

Fast von Anfang an. Weil ich meine Gebäude nicht als abstrakte Idee denke, sondern als konkreten Körper.

Also bei Kolumba wussten Sie von Anfang an, das wollen Sie in Backstein machen? Und dann haben Sie einen speziellen Backstein erfunden.
Nein, der Backstein war da! Ich musste dann jemanden finden, der ihn mir macht. Aber die Inspirationsquelle war ja dort. Also, ich will auf einer Ruine weiterbauen, und was haben sie nach dem Krieg gemacht? Geflickt mit Backstein, der war ja da. Und dann gibt es auch diese rheinische Tradition, mit Backsteinen auf vornehme Art zu bauen, denken Sie an Rudolf Schwarz. Also das Material muss bald da sein, sonst hab ich kein Gefühl.

Und in Bregenz, beim Kunsthaus?

Am Anfang war da nur das Bodensee- Licht. Es war immer das Gefühl, das wird ein Museum, wo dieses diffuse See-Licht reinkommt. Das Material dort war das Licht.

Sie verwenden oft das Wort „stimmig“ – Bauten und Objekte müssten „stimmig“ sein. Das weist ins Atmosphärische. Sie haben das einmal anhand eines Platzes beschrieben, bei dem „alles stimmt“.

Ich glaube, das ist eine Fähigkeit, die wir Menschen haben, intuitiv und von innen heraus auf etwas zu reagieren. Die Architektur bewährt sich im Umgang mit den Menschen an seinem Ort. Das Haus muss etwas können, was man von so einem Haus erwartet. Ein Schlafzimmer ist etwas anderes als ein Kinosaal, und ein Bahnhof anders als ein Kunstmuseum. Das ist einfach das intuitive Reagieren. Und „stimmig“ ist ein wunderbares deutsches Wort. „Stimmung“, „etwas stimmt“, der Geiger stimmt seine Geige, da ist klar, was gemeint ist. In diesen schönen deutschen Wörtern, die wir haben, kann man das beschreiben. Und die Atmosphäre ist wie der erste Eindruck von einem Menschen, der ist nicht so falsch.

Das Gespräch führte Bernhard Schulz.

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