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Kultur: Peymann ante portas

Gerüchte wollen wissen, daß der Chef des Wiener Burgtheaters zum Berliner Ensemble strebt.Es sind mehr als GerüchteVON HELLMUTH KARASEKDer Chaos-Theorie zufolge genügt der Flügelschlag eines Schmetterlings irgendwo in Europa, um in Amerika einen Orkan zu bewirken.

Gerüchte wollen wissen, daß der Chef des Wiener Burgtheaters zum Berliner Ensemble strebt.Es sind mehr als GerüchteVON HELLMUTH KARASEKDer Chaos-Theorie zufolge genügt der Flügelschlag eines Schmetterlings irgendwo in Europa, um in Amerika einen Orkan zu bewirken.Alles hängt mit allem auf verhängnisvolle oder wunderbare Weise zusammen, kleine Ursachen haben große Wirkungen, große Anstöße kleine Folgen.Das Sprechtheater ist für die Chaos-Theorie sicher ein geeignetes Exerzierfeld, und so kommt es, daß etwas, das in Wien die Bretter dieser Welt erschüttert, in Berlin rasch als Hoffnungsschimmer am Horizont erscheint. Kurzer Sinn langer Chaos-Theorie: Kaum hat Claus Peymann in Wien laut verkündet, er wolle seinen Vertrag als Burgtheater-Direktor definitiv nicht über August 1999 hinaus verlängern, die Diskussionen über seine Direktion seien in letzter Zeit "wirklich unerträglich", da wird auch schon in Berlin hinter kaum noch vorgehaltener Hand kolportiert, der amtsmüde Burgherr wolle ans Berliner Ensemble.Das Gerücht, das mehr ist als nur ein Gerücht, mehr als Staub auf Schmetterlingsflügeln, macht auf beiden Seiten Sinn - in Wien wie in Berlin. Beginnen wir mit Wien.Claus Peymann ist seit elf Jahren Herr der Burg, von der er hartnäckig so lange durch laute Worte und kühne Taten behauptet hat, sie sei der Nabel der deutschsprachigen Theaterwelt, bis sie es wirklich wieder war.So groß Peymanns Erfolge und Provokationen dort auch waren - von Anfang an hatte er eine fremdenfeindliche, einflußreiche Klientel gegen sich und seine Arbeit.Es waren die Leute, die ihm vorwarfen, er könne das Wort "Chance" nicht aussprechen, er sage preußisch "Schangse".Es waren die Leute, die ihm verübelten, daß er Thomas Bernhard als Nestbeschmutzer in die geheiligte Burg gebracht hätte, mit "Heldenplatz" beispielsweise, wo den Österreichern ein Spiegel vors Gesicht gehalten wurde, in dem sie ihre verdrängte Nazi-Begeisterung erblicken konnten.Fein war das nicht, was Peymann, der noch dazu gerne großmäulige Interviews gibt ("Viel Feind, viel Ehr", lautet seine Devise), in Wien angerichtet hat, aber es war künstlerisch erfolgreich und eroberte ein junges Publikum. Nach so langem Kampf in Wien darf man abschlaffen, darf man auch als Regisseur ermüden; und wenn man an die 60 ist, darf man sich von einer Luftveränderung einen neuen Kick erhoffen.Diesen Kick hat Berlin als Theaterstadt, hat vor allem das Berliner Ensemble bitter nötig.Brechts Theater, einer der wenigen heiligen Tempel des Welttheaters, liegt in Sachen Leitung und Spielplan ziemlich darnieder.Der Begriff Agonie erscheint da noch geschmeichelt.Zuletzt hat der hochtalentierte Schauspieler Martin Wuttke als künstlerischer Leiter das Handtuch geschmissen.Nach Heiner Müllers Tod, der das Theater zu einer Bastion gegen egalitäre westliche Vereinnahmungen auszubauen suchte, fehlt Richtung und Weg - ganz so, wie es Rolf Hochhuth vor wenigen Tagen im Tagesspiegel beklagte. Peymann und Berlin, das ist eine lange Geschichte.1971 kam er als Mitgegründer neben Peter Stein an die Schaubühne am Halleschen Ufer.Stein siegte mit "Peer Gynt", Peymann unterlag mit Handkes "Ritt über den Bodensee".Die intellektuelle Elitetruppe zeigte ihm darauf die kalte Schulter.Peymann ging als Schauspieldirektor nach Stuttgart und machte dort ein solch erfolgreiches Theater, das ihm sein Stammpublikum bis heute in Bussen nachreist, erst nach Bochum und dann nach Wien, wo er seit 1986 für fulminante Inszenierungen unter anderem von Peter Zadek und Georg Tabori, für mutige Uraufführungen - neben Thomas Bernhard, Peter Handke, Peter Turrini und Elfriede Jelinek - und für Frontaldiskussionen zwischen rechts und links sorgte.Peymann war für österreichische Wahlkämpfe immer gut, und eigentlich war nach dem letzten sozialistischen Stimmenschwund klar, daß seine Tage in Wien gezählt sind.Jörg Haider hat sich jetzt gleich hochbefriedigt geäußert, daß Peymann Wien den Rücken kehrt. In Berlin nun hat Peymann immer schon den Ort gesehen, an dem er "eigentlich" am liebsten gewesen wäre.Zwar hat der gebürtige Hamburger immer mit einer Intendanz am Hamburger Schauspielhaus kokettiert - auch jetzt, aber immer wieder hat er sich auch für Berlin in Bereitschaftstellung gebracht.So hat er sich als Intendant für das Schiller-Theater angeboten - und die Spekulation mag erlaubt sein, ob es das Theater vielleicht noch gäbe, wenn man Peymann die "Schangse" gegeben hätte, damals. Der müde Burgherr hat in den letzten Monaten in Interviews, wenn die Tonbänder ausgeschaltet waren, häufig sein Interesse am Berliner Ensemble gekundet.Ein kleineres Theater suche er, hat er gesagt, ein überschaubares, an dessen Verwaltung man nicht erstickt, eines, dessen große Vergangenheit es zu beleben lohne.Und in der Tat: Was für eine Aufgabe, in der deutschen Hauptstadt das Theater am Schiffbauerdamm in neuem Glanz erstrahlen zu lassen! Es gibt so etwas wie eine Findungs- oder Beratungskommission, die das BE so inoffiziell und wichtig wie nur möglich in der Intendantenfrage berät.Frank Baumbauer, der erfolgreiche Hamburger Schauspielhaus-Intendant, und Frank Castorf, der impulskräftige Volksbühnen-Chef, sowie Friedrich Dieckmann bilden dieses Gremium.Der Regierende Bürgermeister wäre gut beraten, wenn er die Chancen ventilieren würde, die sich aus Peymanns Weggang in Wien ergeben.In Berlin könnte sich Peymann noch einmal als frischer Retter gerieren, eine Rolle, die ihm auf den Leib geschneidert ist.

HELLMUTH KARASEK

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